Titok Alexander Iwanowitsch, Vorsitzender des Exekutivkomitees, Choiniki, Weissrussland

„Das sind doch alles gute Nachrichten.“

Titok Alexander Iwanowitsch ist seit 2011 Vorsitzender des Exekutivkomitees im Bezirk Choiniki im Südosten Weissrusslands. Er besitzt die Machtfülle eines Fürsten. Wenn er Besucher in seinem deutschen Luxusauto in rasendem Tempo durch seinen Bezirk fährt, genügt ein kurzer Anruf, um Fabrikdirektorinnen, Manager und Museumsleiter wie die Puppen vortanzen zu lassen. Auch die Polizei kontrolliere er, vermerkt er.

„Die Katastrophe in Tschernobyl war ein sehr harter Schicksalsschlag für Choiniki. Wir müssen damit leben, dass grosse Teile unserer Kommune noch für lange Zeit jeder menschlichen Nutzung entzogen sind. 90‘000 Hektar, mehr als die Hälfte unseres Gebiets, sind betroffen. Unsere besten Böden finden sich in der Sperrzone. 48 Dörfer wurden evakuiert, 16 von ihnen eingeebnet, um eine Rückkehr zu verunmöglichen. Die Einwohnerzahl des Bezirks ist von 50‘000 auf 20‘000 geschrumpft. Wir erinnern mit einer Dauerausstellung in unserem neu aufgebauten Museum im renovierten Palast der einstigen Fürsten an diese Katastrophe. Sie hat auch meine Familie betroffen. Mein Vater war Traktorfahrer, meine Mutter Gemüsegärtnerin. Meine Eltern zogen mit uns Kindern weg in eine weniger belastete Stadt, mein Elternhaus wurde wie so viele dem Erdboden gleich gemacht. Doch wir müssen nach vorne schauen, wenn wir hier weiterleben wollen. Präsident Lukaschenka hat Choiniki schon viermal besucht und stets betont, dass er den Bezirk nicht im Stich lassen wird. Als er mich 2011 zum Vorsitzenden des Exekutivkomitees ernannte, fühlte ich mich ermutigt, weil ich weiss, dass er zu uns steht und es ernst meint. Und er hat Wort gehalten. Choiniki ist heute kaum mehr wieder zu erkennen. Wir haben ein hervorragendes Gesundheitswesen. Jeder Einwohner wird zweimal jährlich auf Herz und Nieren geprüft, sämtliche Lebensmittel werden streng kontrolliert. Auch unsere Schulen können sich sehen lassen, über 1000 Menschen sind dort beschäftigt. Ja, sie haben richtig gehört. 1000, von der Administration bis zur Lehrkraft. Und wir haben einen neuen, sehr schönen Stadtpark, der zum Flanieren einlädt, ein Sportzentrum mit Kunstrasen-Fussballplatz und Aschenbahn. Unsere Ringer zählen zu den besten im Land, einige haben sich auf höchster Stufe bis zur Olympiade durchgesetzt. Doch das ist nur das eine. Was nützt es mir, wenn ich gesund bin, aber keine Arbeit habe? Wir brauchen eine leistungsfähige Wirtschaft und Arbeitsplätze. In der Landwirtschaft mussten wir ganz neue Schritte gehen, denn der Gemüsebau, der diesen Landstrich einst so geprägt hat, ist aus radiologischen Gründen nicht mehr möglich. Heute dominieren die Milchwirtschaft und etwas Ackerbau, vor allem Mais, mit einigen sehr modernen und leistungsfähigen Betrieben. Selbstverständlich werden die Milch und das Getreide stets kontrolliert. Wir haben in Weissrussland sehr strenge Grenzwerte, strenger als etwa in Deutschland. Frischmilch ist zu stark belastet, um sie zu verkaufen. Deshalb verarbeiten wir sie weiter zu Käse und anderen Milchprodukten. Die Radionuklide verbleiben vor allem in der Schotte und der Buttermilch, für die wir ein Verfahren entwickelt haben, um sie weitgehend unbelastet in getrockneter Form weiter verwenden zu können. Auch die Forstwirtschaft und die Holzindustrie kommen wieder in Schwung. Auf den für die Landwirtschaft nicht mehr nutzbaren oder auch einfach nicht mehr genutzten Böden wächst heute Wald, der sich für den Holzschlag, natürlich unter strengen Kontrollen, nutzen lässt. Neben einer Sägerei gibt es in Choiniki auch wieder eine Schreinerei, die neben Bauholz auch Parkettholz herstellt. Ein moderner Betrieb, der auch in Ausland exportiert. Besonders stolz bin ich auf zwei Industriebetriebe, die praktisch aus der Asche ihrer ruinierten Vorgänger entstanden sind: Ein hochmodernes Zuliefererwerk für die Traktorenfabriken in Minsk und Gomel und eine ebenso moderne Betongiesserei, die sich auf Betonelemente für Plattenbauten spezialisiert hat. Gerade ist eine neue Produktionsstrasse in Betrieb gegangen, die den Ausstoss glatt verdoppeln wird. Inzwischen suchen wir händeringend nach Fachkräften, mehrere Wohnblocks werden für sie gebaut. Das sind doch alles gute Nachrichten, finden Sie nicht?“


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Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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