Ringen um Vertrauen

geschrieben von  Martin Arnold

Wenn erst einmal ein Ort für die Endlagerung gefunden ist, muss die Bevölkerung davon überzeugt werden. Ein schwieriges Unterfangen.

In der Schweiz ist die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) für die Endlagerung zuständig. Doch das Standortwahlverfahren steht unter Federführung des Bundesamts für Energie (BFE). Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) ist Aufsichtsbehörde. Es wird unterstützt durch die Expertengruppe Geologische Tiefenlager (EGT, Nachfolgerin der Kommission für Nukleare Entsorgung KNE). Die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) gibt eine unabhängige Zweitmeinung ab und nimmt zu Gutachten des ENSI Stellung. Dies alles ist in der Strahlenschutzgesetzgebung so verankert.
Die Nagra wurde 1972 von der Eidgenossenschaft und den Kernkraftwerkbetreibern gegründet, die wiederum zu einem grossen Teil im Besitz der Kantone sind. Ein wichtiger Pfeiler ihrer Arbeit ist der Entsorgungsnachweis, das heisst die Erbringung des Nachweises für die Machbarkeit der Entsorgung von radioaktiven Abfällen. Erste Schritte dazu waren Sondierbohrungen und Untersuchungen im Kristallingestein am Oberbauenstock in der Innerschweiz im Rahmen des „Projekt Gewähr“. Die Ergebnisse anerkannte der Bundesrat 1988 als Entsorgungsnachweis für schwach- und mittelradioaktive Abfälle an. Für hochradioaktive Abfälle verpflichtet er die Nagra, die Erkundigungen zusätzlich auf Sedimentgesteine auszudehnen.
Die Endlagersuche ging nicht ohne politische Nebengeräusche vonstatten. Am Wellenberg im Kanton Obwalden formierte sich beim dortigen Endlagerprojekt im kristallinen Gestein massiver Widerstand bis das Projekt von der Nagra aufgegeben wurde. Einerseits lehrte die Nagra daraus, die Bevölkerung besser einzubeziehen, andererseits wurde der lokalen Bevölkerung im revidierten Kernenergiegesetz die Möglichkeit genommen, an der Urne ein Endlager abzulehnen – und dies in einem Land, das so stolz auf die direkte Demokratie ist. In einem schrittweisen Verfahren rückte der Opalinuston als geeignetes Wirtgestein für die hochaktiven Abfälle in den Vordergrund. 2006 akzeptierte der Bundesrat, also die Schweizer Regierung, das „Projekt Opalinuston“ als Entsorgungsnachweis. 2008 regelte der Bundesrat das Standortauswahlverfahren für geologische Tiefenlager neu und im selben Jahr schlug die Nagra den Bundesbehörden sechs Standortgebiete für ein geologisches Tiefenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle vor. Die Auswahl wurde Ende Januar 2015 auf zwei Standorte eingegrenzt. Höchstwahrscheinlich wird im Gebiet Jura Ost oder Zürich Nordost ein Endlager für hochradioaktive Abfälle gebaut. Ob an gleicher Stelle auch schwach- und mittelaktive Abfälle gelagert werden, ist noch offen.

Gestörtes Idyll
Nun folgen weitere, vertiefte Untersuchungen bis 2020. Danach wird die Nagra die Rahmenbewilligungsgesuche ausarbeiten – die Basis für ein Tiefenlager. Die Rahmenbewilligung legt den endgültigen Standort und die Anlagen in den Grundzügen fest. Der Entscheid wird dem fakultativen Referendum unterstellt sein, so dass es eine gesamtschweizerische Abstimmung über das Tiefenlager geben könnte. Ein Tiefenlager für hochaktive Abfälle würde dann nach heutigem Zeitplan gegen 2060 den Betrieb aufnehmen. Zuvor wird die Nagra an dem Standort ein Felslabor bauen und betreiben sowie das Konzept der Rückholbarkeit testen. Als erster Schritt des Tiefenlagerbaus wird anschliessend ein Pilotlager erstellt. Dort wird die Entwicklung des Tiefenlagers bis zum endgültigen Verschluss überwacht. Die Möglichkeit, die gelagerten Behälter wieder an die Oberfläche zu holen (Rückholbarkeit), ist ein zentraler Bestandteil der Entsorgungskonzepte in vielen Ländern geworden. Seit der Opalinuston als Wirtsgestein im Gespräch ist, wird auch immer wieder der Name Benken, beziehungsweise Zürich Nordost als Endlagerstätte genannt. Gemeint ist das Weinland. Fachwerkbauten mit prächtigen Blumen- und Gemüsegärten davor, plätschernde Dorfbrunnen, alte Menschen und Weingärten prägen das Bild. Das Zürcher Weinland und seine Dörfer nahe Schaffhausen und nahe der Deutschen Grenze sind ein Idyll. Dort hat sich die Oppositionsbewegung KLAR schon lange gegen die Pläne in Stellung gebracht. Doch die Gruppe verweigert sich der Diskussion nicht und beteiligt sich auf verschiedenen Kommunikationsplattformen zwischen der Nagra und der Bevölkerung. Das Bundesamt für Energie hat im Zürcher Weinland genauso wie in den anderen potenziellen Standortgemeinden einen Partizipationsprozess initiiert. Es gibt Regionalkonferenzen zum Thema Sicherheit, Oberflächenanlagen und über sozio-ökonomischen Auswirkungen. Die Mitglieder dieser Fachgruppen sind Behörden- und Parteienvertreter, Organisationen und Einzelpersonen. Vertreter von KLAR sind überall dabei. Es gibt Infoabende, Experten werden eingeladen und es wird diskutiert. Zum Beispiel, was der Bau einer Heissen Zelle bedeutet, also ein Ort, wo hochradioaktive Castor-Behälter aufgemacht und die Brennstäbe in Endlagerbehälter umgepackt werden. Die Regionalkonferenzen sind allerdings kein basisdemokratischer Prozess. Das Kernenergiegesetz aus dem Jahre 2005 nimmt den betroffenen Gemeinden das Recht, nein zu einem Endlager zu sagen. Die Mitsprache beschränkt sich auf die Oberflächenbauten. In einem Punkt stellen KLAR und immer mehr Mitstreiter, aber auch die im Forum Vera organisierten Befürworter der Endlagerung eine unmissverständliche Forderung: Wo auch immer sich der von Geologen festgelegte beste Standort der Schweiz befindet – die Basis für die Endlagerung sind die besten technischen Lösungen. Der Kommunikationsberater Matthias Knill, ehemaliger stellvertretender Leiter der Nagra-Kommunikationsabteilung und heute unter anderem Mitglied des Leitungsteam Zürich Nordost des atomfreundlichen Forum Vera, möchte deshalb – ähnlich wie die Gegner – die Bevölkerung für die Endlagerfrage sensibilisieren. „Ich finde den Prozess mit den Regionalkonferenzen, auf denen auch das Forum Vera vertreten ist, konstruktiv. Das gilt auch für die Nagra, die die Endlagerung meiner Meinung nach ernsthaft angeht.“ Knill meint: „Die Sicherheit hat oberste Priorität. Es ist aber auch wichtig, dass es mit der Endlagerung vorwärts geht. Wir können das Problem nicht ewig vor uns herschieben, denn die Zeit birgt auch ein Risiko in sich. Wer garantiert, dass unsere Gesellschaft in hundert Jahren noch stabil ist?“


zum Weiterlesen:

Käthi Furrer, Co-Präsidentin "KLAR!" Schweiz: "Unser Widerstand zwingt zu besten Lösungen.

Jürg Rasi, Landwirt, Schweiz: Ich habe kein Vertrauen.

 

Geologisches Tiefenlager

  • Geologisches Tiefenlager

    Zu einem geologischen Tiefenlager gehören sowohl die Oberflächen-Anlage als auch die in mehreren hundert Metern Tiefe im Wirtgestein liegende Anlage, in der die radioaktiven Abfälle in Stollen oder Kavernen mithilfe passiver Sicherheitsbarrieren [siehe auch Geologische Barriere] dauerhaft von Mensch und Umwelt isoliert werden.

Castorbehälter

  • Castorbehälter

    Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials. Castor ist ein geschützter Name der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Ein gefüllter Castorbehälter wiegt 110 bis 125 Tonnen. Die Herstellung eines Castorbehälters kostet rund 1,5 Millionen Franken. Zur Aufbewahrung radioaktiver Materialien werden auch noch andere Behälter benutzt. Alle müssen aber dieselben technischen Anforderungen erfüllen. Sie weisen beispielsweise mehrere Druckräume auf.

Bis in die Ewigkeit: Ausschnitt aus dem empfehlenswerten Dokumentarfilm "Into Eternity" (2010)

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Kernfusion

  • Kernfusion

    Bei der Kernfusion verschmelzen in einer Kettenreaktion zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Es ist dieser Prozess, der auch die Sonne in einen leuchtenden Stern verwandelt. Konkret verschmelzen bei extrem hohen Temperaturen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern. Dies unter Freisetzung eines Neutrons und Energie. Diese Fusionsreaktion ist die Ursache für die Zerstörungskraft von Wasserstoffbomben. Seit Jahrzehnten experimentieren Forscher damit, sich dieses unglaubliche Energiepotenzial zunutze zu machen. Bislang verbrauchten die Kernfusionsversuche mehr Energie, als sie einbrachten. In Südfrankreich befindet sich der Fusionsreaktor Iter im Bau, der ab 2020 im großen Umfang Informationen über die weitere Entwicklung dieser Technologie geben soll. An dem 16 Milliarden Euro teuren Experiment sind zahlreiche Länder beteiligt. Es ist eine offene Frage, ob die Kernfusion tatsächlich einmal Strom für den Massenkonsum bringen kann. Auf jeden Fall wird dies noch Jahrzehnte dauern.

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