Sie haben in ihrem Hinterhof-Labor eimerweise Pechblende geschaufelt, um zum Stoff ihrer Träume zu gelangen. Nach jahrelanger Plackerei fanden Pierre und Marie Curie bei Messungen des uranhaltigen Minerals, noch zwei weitere Stoffe, die um ein Vielfaches stärker strahlten: Polonium und Radium. 1903 erhielt das Paar, zusammen mit Henri Bequerel, den geteilten Nobelpreis. Curie war die erste weibliche Nobelpreisträgerin weltweit und über Nacht zum Star geworden, der den Rummel um seine Person verabscheute.
Glückliche Fügung
Der Film zeichnet die wesentlichen Stationen von Curies Leben und Wirken nach. Die junge Polin, 1867 in Warschau geboren, durfte als Frau in ihrem Land nicht studieren, schloss in Paris als Jahrgangsbeste ab, und wurde zur Forschung an den Physiker Pierre Curie vermittelt. Zwei Geistesverwandte trafen sich, verbunden durch wissenschaftlichen Erkenntnisdrang, Heirat und Kinder folgten. Das Private hielt Curie von der „einen, einzigen Sache“ nicht ab. Ihr Forschungsdrang ebbte nicht ab, auch nicht nach dem Unfalltod ihres Mannes im Jahr 1906, als sie mit zwei kleinen Töchtern zurückblieb. Sie konnte seinen Lehrstuhl an der Sorbonne übernehmen, sein Labor selbständig weiter leiten. Später dann gründetet sie ein Radiuminstitut in Paris, dessen Nachfolge Tochter Irene antrat, die mit ihrem Mann den Weg zur Kernphysik ebnete. Marie Curie konnte nicht ahnen, wohin ihre Forschung, im Dienste des Menschen gedacht, führen sollte.
Der Mythos bröckelt
Insgesamt ist die Doku des ARD Bildungskanals alpha ein unterhaltendes Erklärstück in Sachen Radioaktivität mit historischen Fotos, Spielfilmausschnitten und Expertenmeinungen. Doch Curie wird einmal mehr idealisiert: als Genie, als Superfrau und –mutter. Es fehlt eine kritische Betrachtung der Zusammenhänge von Curies Lebenswerk. Die Hintergründe werden häppchenweise präsentiert; für jene, die sich dreie weitere Dokus von alpha ansehen, die Curie als „Frau , Mutter, Forscherin“ zeigen, in „ihrem Einsatz für Frankreich, und in ihrer politischen Haltung in „Polen, Polonium und die Welt“ . Die Versuchung liegt nahe, Marie Curie zur Überfrau zu stilisieren, wie es bereits zu ihren Lebzeiten, und später in Spielfilmen und Biografien oft geschah. Als Frau ihrer Zeit, hat sie auf ihrem Gebiet sicher Ausserordentliches vollbracht: sie erhielt den ersten Doktortitel der Physik, war Trägerin von zwei Nobelpreisen. Aber sie war weder die Emanze, zu der sie die Frauenbewegung auserkoren hatte, noch die Supermum, wie die Biografin Alina Schadwinkel bemerkt. Ihr berufliches Werk war vermutlich ohne den Schwiegervater, der die beiden Töchter betreute, gar nicht möglich gewesen. Sie war besessen von ihrem Erkenntnisdrang. Sie ging bis zu den äußersten Belastungsgrenzen ihres Körpers, erlitt Zusammenbrüche, erste gesundheitliche Folgen durch die dauernde Arbeit mit dem strahlenden Material machten ihr zu schaffen. Besonders schwer setzte ihr der Skandal um ihre Liebesbeziehung zum verheirateten Paul Langevin zu, einem Kollegen und ehemaligen Schüler ihres Mannes zu. Eine Hetzkampagne der Presse verfolgte sie, die sie als Ehebrecherin, Jüdin und Konkubine beschimpfte. Die Einzel-Dokus sparen diese Details nicht aus. Die Ikone erhält dadurch menschliche Züge; der Eindruck, dass sie Übermenschliches geleistet hat, bleibt.
ARD-Doku: Marie Curie und das Geheimnis der Radioaktivität in Zusammenarbeit mit FEATVRE