Tatjana Chartonowitsch, Verkäuferin und Erdbeerpflanzerin, Weissrussland

„Ich wünsche meinen Kindern, dass sie von hier wegkommen.“

Tatjana Chartonowitsch ist Verkäuferin in einem Geschäft für Türen. Die 38-jährige lebt mit ihrer Familie in Djatlowitschi in Weissrussland.

„Meine Mutter bewachte einen Bahnübergang, mein Vater war Baggerfahrer. Ich wuchs in einem Nachbardorf auf. Wir hatten ein gutes Leben, uns Kindern fehlte es an nichts. Heute leben wir in einer verstrahlten Landschaft. Wir sollen nur noch grünes Gemüse anpflanzen, das weniger Radionuklide aufnimmt. Ich habe einen grossen Garten, der uns mit allem versorgt, was man an Gemüse braucht: Kartoffeln, rote Beete, Kohl, Gurken, Bohnen, Paprika, Spargeln, Mais und auch verschiedene Beeren. Sogar Wein haben wir schon selbst gemacht. Das Gemüse wird eingekocht und für den Winter aufbewahrt. Manche Flächen hier sind für die Landwirtschaft ganz gesperrt. Nur drei Kilometer weit weg ist unser Nachbardorf schon vor Jahren evakuiert worden, nur ein paar Alte sind geblieben. Im Wald müssen wir die Stellen genau kennen, wo wir gefahrlos Pilze oder Beeren sammeln können. Schon einen Steinwurf weiter weg können die Waldfrüchte radioaktiv verseucht sein. Damit haben wir zu leben gelernt. Auch meine Kinder. Ich liebe sie über alles, und ich werde alles tun, dass sie ein gutes Leben haben. Ich vermisse meinen 19-jährigen Sohn Artiom sehr. Doch es ist gut, dass er nach Minsk zur Luftwaffe gegangen ist, und ich wünsche mir, dass er dort bleibt und uns ab und zu besucht. Auch meiner 15-jährigen Tochter Julia wünsche ich, dass sie ihr Glück fernab von Diatlowitschi findet. Es wird mir das Herz brechen, wenn sie aufbricht, aber ich werde sie nicht aufhalten. Wir sind wie zwei gute Freundinnen, sie ist für ihr Alter schon sehr erwachsen, ein nachdenkliches Mädchen, das ganze Bibliotheken verschlingt und die Welt übers Internet am Computer in ihr Zimmer holt. Vor ein paar Jahren hätte mein Mann Evgenj, der einige Zeit in Polen arbeitete, ein Angebot gehabt, eine feste Stelle und ein Haus zum Leben im Nachbarland. Wir haben hin und her überlegt und sind schliesslich geblieben. Wir waren zu feige, den Aufbruch zu wagen. Nun haben wir uns in sechs Jahren Arbeit ein eigenes Haus gebaut, alles mit eigenen Händen. Das hätten wir uns mit dem Geld, das mein Mann als Automechaniker und ich als Verkäuferin verdienen, nie und nimmer leisten können. Die 400 Euro reichen gerade so zum Leben. Das Geld für das Haus haben wir mit Erdbeeren gemacht, die wir auf einem Feld anbauen. Über eine Tonne ernten wir. Eduard fährt jeweils zur Erntezeit viermal mit 300 Kilo frischer Beeren im vollgeladenen Auto die 1200 Kilometer nach Petersburg, um sie dort zu verkaufen. Etwa zwei Euro erhält er pro Kilo. Das Geld stecken wir vor allem in Baumaterialien. Fertig ist das Haus noch lange nicht. Aber es lässt sich darin schon recht gut leben. Und alt werden.“

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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