Sebastian Pflugbeil, Deutsche Gesellschaft für Strahlenschutz
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- Geschrieben von Urs Fitze
„Es wird wieder und wieder heruntergespielt“
Sebastian Pflugbeil ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz. Als Medizinphysiker befasste er sich intensiv mit den Strahlenfolgen in den Uranbergwerken der DDR. Als Mitglied der DDR-Bürgerbewegung Neues Forum und Minister ohne Geschäftsbereich in der Übergangsregierung unter Hans Modrow setzte er sich für die sofortige Stilllegung der Atomreaktoren der DDR ein. 2012 wurde er mit dem Nuclear-Free Future Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
»Im Einigungsvertrag von 1990 übernahm die DDR praktisch das gesamte Rechtssystem der BRD. Mit einer Ausnahme: dem Strahlenschutz. Dort gilt für eine bestimmte Region in Sachsen und Thüringen das DDR-Recht weiter. Bis heute. Das kam nicht von ungefähr, denn auf dem Boden der DDR hatte sich in den Jahrzehnten zuvor ein Super-GAU auf Raten abgespielt: der Uran-Bergbau der Wismut, ein gigantischer sowjetisch-deutscher Staatsbetrieb, der auch das Uran für die sowjetischen Atombomben lieferte. Zehntausende Bergarbeiter erlitten schwerste Gesundheitsschäden, und die Altlasten des Bergbaus und der Aufbereitung des geförderten Urans waren gigantisch. Die viel lascheren DDR-Gesetze kamen bei der Abwicklung gerade recht. Die Anwendung des westdeutschen Strahlenschutzrechts hätte die Sanierung unbezahlbar gemacht. So konnte man sich auf das Nötigste beschränken und nahm damit etwa in Kauf, dass die gefluteten Schächte heute eine ständige Gefahr für die Trinkwasserversorgung darstellen. Vor Gericht kämpften die kranken Bergleute weitgehend vergebens um eine Entschädigung. Statt die Leute zu untersuchen, berief man sich auf höchst fragwürdige Aussagen von Wismut-Strahlenschützern, die darauf hinausliefen, alles sei in geordneten Bahnen gelaufen. Die juristisch spitzfindige Verweigerung der Anerkennung berufsbedingter Gesundheitsschäden ist einfach unfair. Denn eigentlich zweifelt niemand ernsthaft an den katastrophalen Arbeitsbedingungen unter Tage. Der Fall ist für mich bezeichnend für den Umgang mit Strahlenschäden. Es wird wieder und wieder heruntergespielt, verharmlost und gelogen. Die Berichte der internationalen Gremien zu Tschernobyl und Fukushima sind die extremsten Beispiele dieser letztlich von den Interessen der Industrie gelenkten Politik. Selbst wenn die katastrophalen Konsequenzen für jedermann offensichtlich sind, wird so getan, wie wenn man die Lage im Griff habe.«
zum Weiterlesen:
Vom Saulus Atombombe zum Paulus Atomkraftwerk
http://www.nuclear-free-future.com/preistraeger/preistraegerinnen/sebastian-pflugbeil/