Cornelia Hesse-Honegger, Wissenskünstlerin, Zürich, Schweiz
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- Geschrieben von Cornelia Hesse-Honegger
«Schreckliche Deformationen»
Cornelia Hesse-Honegger bezeichnet sich als Wissenskünstlerin. Ihre Aquarelle von deformierten Insekten aus verstrahlten Gebieten weltweit sind in zahlreichen Ausstellungen, Büchern und Medienbeiträgen zu sehen. Im Oktober 2015 erhielt sie den Nuclear-Free Future Award 2015 in der Kategorie „Aufklärung“: www.wissenskunst.ch
»Ich habe 25 Jahre lang als wissenschaftliche Zeichnerin Publikationen für das Zoologische Institut der Universität Zürich illustriert. In diesem Zusammenhang hatte ich bereits 1967 den Auftrag, mutierte Fliegen zu zeichnen. Dies war der Anfang meiner Arbeit, bei der es um die Frage der vom Menschen gemachten Veränderungen in der Natur geht. Neben der Arbeit für das Institut wollte ich immer eigene Projekte verwirklichen. So entdeckte ich 1969 die Wanze (Heteroptera) als mein Malobjekt. Die Tiere faszinierten mich wegen ihrer Schönheit, ihren abstrakten Mustern und intensiven Farben. Aus der Auseinandersetzung mit ihnen eröffneten sich schließlich auch ökologische Fragestellungen.
Nach dem Super-GAU 1986 im Atomkraftwerk Tschernobyl wollte ich herausfinden, ob die ionisierende Strahlung bei den Wanzen und anderen Insekten sichtbare Veränderungen verursacht hat. Denn ohne eigene Forschungsarbeiten erklärten Experten, dass bei einer so schwachen radioaktiven Strahlung Deformationen und Mutationen unmöglich seien. Ich machte mich auf den Weg nach Schweden, wo die am stärksten verstrahlten Gebiete Westeuropas liegen. Dort stieß ich auf sehr viele körperlich deformierte Wanzen. Es war das erste Mal, dass ich in der Natur missgebildete Wanzen fand. Dieses Erlebnis machte mir bewusst, dass die Biologen eine wichtige Frage nicht stellten: Was passiert mit der Natur durch das menschliche Handeln? Zum Beispiel vertreten Experten international die Meinung, dass niedere ionisierende Strahlendosen harmlos sind (Petkau-Effekt). Dies wollte ich auch in der Schweiz überprüfen, und so umwanderte ich die Aargauer Atomkraftwerke und das Paul Scherrer Institut. Dabei entdeckte ich eine große Anzahl von schrecklich deformierten Insekten. Diese Arbeit publizierte ich in »Das Magazin« des Tages-Anzeigers (Nr.15, 1989). Daraufhin wurden während drei Monaten meine Erkenntnisse in den Medien heftig diskutiert. Die Experten behaupteten unisono, dass die Deformationen mit der Strahlung nichts zu tun hätten. Dies hat sich erst nach Fukushima geändert, als japanische Forscher, inspiriert durch meine Forschungsarbeit, gesunde Schmetterlinge mit verstrahltem Futter fütterten und sich bereits in der nächsten Generation Missbildungen zeigten.
Viele fragen mich, wie ich beim Zeichnen vorgehe. Ich fange die Wanzen mit einem Trinkbecher aus Plastik. Zu Hause betäube ich sie mit einer Essig-Äther-Lösung. Dann schlafen sie für drei bis vier Stunden, und ich kann sie in Ruhe unter der Binokularlupe mit bis zu 80-facher Vergrößerung betrachten. Ich messe die Tiere exakt aus und protokolliere sie, indem ich sowohl die zoologischen Merkmale wie auch Anomalien beschreibe. Dann zeichne ich mit Bleistift das Insekt gemäß meinen Vermessungen, und in einem letzten Schritt male ich es, nachdem ich die Bleistiftzeichnung auf das Aquarellpapier gepaust habe, mit feinem Pinsel. Inzwischen besitze ich eine Sammlung von ca. 17‘000 Wanzen, die ich rund um den Nuklearkomplex Sellafield, um die Wiederaufbereitungsanlage La Hague, Tschernobyl sowie um Atombombentestgebiete und Atomkraftwerke in den USA und Europa gesammelt habe.
Der gesamte Arbeitsprozess bis zum fertigen Aquarell ist für mich eine künstlerische Auseinandersetzung. Der Vorteil der Künstlerin ist, dass sie sich nicht an Lehrauffassungen, Institutionen etc. halten muss und Fragen nachgehen kann, die bisher noch nicht gestellt worden sind. Diese Freiheiten hatte ich auch deshalb, weil ich meine Projekte immer selbst finanziert habe.«
zum Weiterlesen:
http://www.nuclear-free-future.com/preistraeger/preistraegerinnen/cornelia-hesse-honegger/