Als 2009 in Norwegen das erste schwimmende Windrad in Betrieb ging, wusste man um das Potenzial solcher Anlagen in Wassertiefen von 60 Metern und mehr. Doch die technischen Hürden waren hoch, und niemand wagte damals, an mehr als eine Nische zu denken. So sind denn bis heute auch primär Demonstrationsanlagen in Betrieb. Noch 2020 war der in Büssel ansässige, industrienahe Weltwindrat von einem vergleichsweise moderaten Wachstum der weltweit installierten Kapazität auf 6,5 Gigawatt bis 2030 ausgegangen. Die Musik sollte primär an den im Flachwasser installierten Anlagen spielen. Inzwischen hat das Gremium seine Prognose fast verdreifacht. Danach soll die Technologie mit verschiedenen Verankerungstechniken am Meeresboden in bis zu mehreren hundert Metern Wassertiefe ab Mitte der 1920er-Jahre endgültig durchstarten. Zum Beispiel in Portugal. Das Land an der Atlantikküste könnte aus einem Potenzial von nicht weniger als 117 Gigawatt mit schwimmenden Anlagen schöpfen, mit fest installierten Windrädern liessen sich 14 Gigawatt realisieren. Die stärksten Winde mit durchschnittlichen Geschwindigkeit um die 10 Meter pro Sekunde wehen an der südwestlichen Spitze bei Sagres und nördlich der Hauptstadt Lissabon, mit bis zu 75 Kilometern Entfernung von der Küste.
Im von der internationalen Organisation für erneuerbare Energien IRENA errechneten Szenario bis 2050 müssen, wenn das 1,5 Grad – Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht verfehlt werden soll, Windräder mit einer gesamten Kapazität von 2000 Gigawatt auf den Küstenmeeren der Welt installiert werden. 2020 waren es gerade einmal deren 35. 2030 sollen es 250 Gigawatt sein. Nimmt man das derzeit grösste Windrad der Welt, das V236 – 15 MW des dänischen Herstellers Vestas als Massstab, müssten über 130'000 Anlagen gebaut werden. Damit könnten theoretisch rund 2,7 Milliarden Haushalte mit Strom versorgt werden. Dabei wäre kaum ein Fünftel des vorhandenen Potenzials an Windkraft ausgeschöpft – allerdings nur, wenn der Fokus auf schwimmende Windräder wechselt. Der Haken an der Sache sind derzeit noch die Kosten. Der Weltwindrat rechnet mit den üblichen Skaleneffekten bei steigenden Produktionszahlen und entsprechenden Preissenkungen. Das könnte durchaus aufgehen. Windräder an Land und in den Flachwassergebieten der Ozeane erreichen inzwischen die niedrigsten Produktionskosten der gesamten Strombranche. So steigen inzwischen auch Offshore-Ölförderer wie Shell in das Geschäft mit den schwimmenden Windkraftanlagen ein.
Der Weltwindrat hat in einer Studie das Potenzial schwimmender Windkraftanlagen berechnen lassen. Danach finden sich 80 Prozent der Offshore-Ressourcen in Wassertiefen über 60 Meter. An vielen Küsten der Welt, etwa in Kalifornien, ist dieser Anteil noch höher. Auch weht es weiter draussen deutlich konstanter und stärker. Die grössten Anlage mit fünf Turbinen und einer Nennleistung von 50 Megawatt ging im vergangenen Herbst vor der Küste Aberdeens in Betrieb. Die Technik ist inzwischen so ausgereift, dass mit verschiedenen Verankerungssystemen für unterschiedliche Meeresgründe gearbeitet werden kann. So können die Windräder heute in den Häfen aufgebaut und an ihren Standort geschleppt und verankert werden, aber für Wartungs- und Reparaturarbeiten auch wieder in die Häfen zurückgezogen werden.
Für den erwarteten grossen Bauboom ab 2030 gelten nicht weniger als 115 Staaten als geeignete Standorte, 30 unter ihnen, unter anderen die USA, Kolumbien, Chile, Irland, Portugal, Italien, Marokko, Ägypten, Neuseeland und die Philippinen sind aus verschiedenen Gründen besonders geeignet. Fünf dieser Kandidaten wurden etwas genauer betrachtet. So sind etwa in Italien verschiedene Standorte, die Nordküste Sardiniens, die Westküste Siziliens oder die Stiefelspitze mit Windgeschwindigkeiten um acht Meter pro Sekunde besonders günstig, die Wassertiefen liegen zwischen 60 und 300 Metern. Die Kosten kommen bei den günstigsten Standorten auf 85 Euro pro Megawattstunde zu stehen. Deutlich günstiger sind diese in Irland, wo praktisch an der gesamten Küste in tieferen Gewässern mit Kosten um 51 Euro pro Megawattstunde gerechnet wird. Das wären dann um die fünf Eurocents pro Kilowattstunde - ein mehr als konkurrenzfähiger Preis, der etwa im weniger windbegünstigen Marokko nicht ganz zu schaffen wäre. Insgesamt können schwimmende Windkraftanlagen sich an den besten Standorten schon heute etwa mit Kohlekraftwerken messen, könnten also auch in Ländern, die stark von der Kohle abhängig sind, eine auch wirtschaftlich interessante Alternative sein. Es wird primär an den vom Wind begünstigten Staaten liegen, diese Potenzial auch zu nutzen. Bei einer globalen Betrachtungsweise haben sie zudem die verlockende Option, mit günstigem Windstrom den neben Strom begehrtesten Treibstoff der Zukunft, Wasserstoff, im grossen Massstab zu produzieren, was wiederum den Aufbau von ganzen Industriesektoren begünstigen könnte.