Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Es ist nicht ganz klar, wer in der Schweiz die neu entstandene Atomdebatte mit welchen Absichten befeuert und welche Interessen vertreten werden. Sicher aber besteht die Gefahr, wertvolle Zeit beim Umbau in Richtung nachhaltige Energieversorgung zu verlieren. Wer die heutigen Argumente für die Kernenergie anschaut, stösst auf alte Unwahrheiten. Etwa bei den Baukosten.

Der Bauzeit dauert länger, die Kosten sind höher als geplant: Kernkraftwerk Olkiluoto 3 in Finnland während der Bauphase

Olkiluoto 3: Teurer und später fertig als geplant. Und nun ein Haufen Prozesse. 

 

So schreibt Eduard Kiener, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie in einem Gastkommentar am 7. Februar in den weit verbreiteten CH-Medien, Solarstrom sei teurer als Kernenergie. Die Behauptung überrascht, anerkennen die meisten Experten, dass die Kernenergie, nicht zuletzt wegen den steigenden Sicherheitskosten immer teurer wird. Ganz zu schweigen von der Endlagerung, deren Kosten niemand wirklich kennt. Kiener vergleicht Solar- und Kernenergie und schreibt über ein Kernkraftwerk mit 1000 Megawatt Leistung: „Die Investitionskosten seien pessimistisch mit 8 Milliarden Franken angenommen, also spezifisch noch höher als jene der verspäteten französischen EPR-Reaktoren, die meist als abschreckende Beispiele für neue Kernkraftwerke herangezogen werden.“ Wie kommt Kiener auf diese Zahl. Alleine schon ein Blick ins Internet und auf ein Dutzend Quellen zeigt: Die Kosten von Flamanville (1600 Megawatt Leistung) belaufen sich auf inzwischen 19 bis 22 Milliarden Euro, also über 20 Milliarden Franken. Diese Zahlen schätzt der französische Rechnungshof. Glaubt Kiener in der Hochpreisinsel Schweiz werde billiger gebaut, oder es gelten andere Sicherheitsstandards? Übrigens sollte Flamanville 2012 fertig sein und 3,3 Milliarden Euro kosten. Dies sagt alles über die Planungsverlässlichkeit von Kernkraftwerken aus. Bereits bei einem Besuch vor Ort vor einigen Jahren bestätigten Vertreter atomkritischer Umweltverbände, die Bauleitung bekomme die Komplexität des Kernkraftwerkes kaum mehr in den Griff und die in einem derart heiklen Bauprojekt wichtige Kommunikation sei zwischen den Unternehmen, den Sub-Unternehmen und den Sub-Sub-Unternehmen mit Arbeitskräften aus der halben Welt und Dutzenden von Sprachen kaum möglich. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb in Ihrer Ausgabe vom 12. Januar 2022 über Flamanville von mittlerweile behobenen Baumängeln, aber auch von kürzlich bekannt gewordenen Probleme mit den Brennelementen des typgleichen Druckwasserreaktors in Taishan in China. Vielleicht haben Politiker wie der St. Galler SVP-Nationalrat Mike Egger, der sonst so sorgsam auf die Staatsfinanzen achtet, keine Kenntnisse vom finnischen Kernkraftwerk Olkiluoto? Es ist der Baugleiche Typ wie das Kernkraftwerk Flamanville. Baubeginn war 2005. Geplante Kosten 3 Milliarden Euro, geplante Inbetriebnahme 2009? Am 26. März 2021 war es schliesslich fertiggestellt. Im Januar 2022 kam es bereits zu zwei Reaktorabschaltungen. Finnland handelte einen guten Vertrag aus, indem es offiziell für eine schlüsselfertige Abgabe 3,3 Milliarden Euro bezahlen sollte. Weil aber während der Bauphase ständig neue Sicherheitsanforderungen hinzukamen, decken sich nun die Beteiligten mit Milliarden-Forderungen vor Gericht ein. Die effektiven Baukosten sind öffentlich nicht zu finden. Für Verantwortungsträger, denen gesunde Staatsfinanzen wichtig sind, sollte auch folgendes Beispiel zu denken geben: In England gibt es ein grosses, neues Projekt. In Hinkley Point sollen zwei Reaktoren mit einer Leistung von 3260 MW gebaut werden. Auf Wikipedia ist zu lesen: Im März 2013 erhielt Électricité de France (EDF) die Genehmigung für den Bau eines neuen Kraftwerks. Da der Bau aufgrund der hohen Investitionskosten wirtschaftlich nicht rentabel ist, hatte EdF als Bedingung für einen Bau staatliche Subventionen in Form eines garantierten Stromabnahmepreises verlangt, über den bis Oktober 2013 mit der Regierung verhandelt wurde. Laut BBC würde ein garantierter Mindestpreis unterhalb von 90 Pfund/MWh dazu führen, dass das Kernkraftwerk Verluste schreibt. Die Baukosten werden inzwischen auf 40 Milliarden Euro geschätzt. Der Bau wurde mit dem Argument gerechtfertigt, Kernenergie verhindere einen übermässigen Kohlenstoffausstoss. Dagegen ging Greenpeace vor Gericht und gewann: Die Argumentation zum Vorzug der Kernenergie fanden die Richter mangelhaft und die Vorgehensweise unkorrekt. Weil auch im Falle Hinkley Point C zu ständigen Bauverzögerungen kommt, wird die Inbetriebnahme vorsichtig auf 2026 geschätzt. Interessant sind die umgerechneten Kosten. Die Betreiber bekommen für 35 Jahre ab Inbetriebnahme eine Einspeisevergütung in der Höhe von 109 Euro pro Megawatt plus Inflationsausgleich auf der Preisbasis von 2012. Dies ist das Doppelte des durchschnittlichen englischen Stromgrosshandelspreises und beispielsweise weit oberhalb der Vergütungen für nachhaltige Energie in Deutschland. Ohne die Abriss und Endlagerkosten zu berücksichtigen, kommt man so auf 13 Rp./KW und landet inflationsbedingt (gerechnet mit nur 2 Prozent) am Schluss bei rund 25 Rp./kWh.

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Der Bau eines Kernkrafwerkes ist so komplex, dass es wegen Mängelns zu Baurückständen kommnt. 


Diese massiven Unterschiede bei den geschätzten Baukosten hätten natürlich einen Einfluss auf die von Kiener geschätzten Strom-Gestehungskosten inklusive Entsorgung auf 8 bis 10 Rp./kWh und Jahreskosten von KKW auf 640 bis 800 Mio. Franken. In der jüngeren Geschichte gibt kaum ein Kernkraftwerk, das im ursprünglich geplanten zeitlichen Aufwand und finanziellen Umfang realisiert werden konnte. Zwei Punkte in Kieners Argumentation sind bedenkenswert. Er nimmt vor nimmt den Winter unter die Lupe, wo die Schweiz erheblich importieren muss. Dort gibt es mit nachhaltiger Energie tatsächlich ein Versorgungsproblem, das nach intelligenten Lösungen verlangt – etwa auf einen sehr kurzfristigen von energieintensiven Unternehmen, beispielsweise für einen Tag. Auf der anderen Seit bezweifelt er die effektiven Kosten bei Fotovoltaik-Anlagen, die so kostengünstig erscheinen, wenn sie grossflächig montiert würden. Die Kosten der hauptsächlich realisierten Kleinanlagen laufen allerdings bei weitem nicht so aus dem Ruder wie bei der Produktion der Kernkraft. Trotzdem sollten auch in der Schweiz endlich grössere Solarprojekte realisiert werden.
Claudia Kemfert vom Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung sagt: „Wir haben festgestellt, dass Atomkraftwerke sehr, sehr teuer sind und ohne Subventionen nicht frei am Markt bestehen können. Wir haben aus Klimaschutzsicht sehr viel preiswertere Energieformen, insbesondere die erneuerbaren Energien gehören dazu."

 

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  • Mit seinem Film „Katanga Business“ von 2009 vermittelt der belgische Regisseur Thierry Michel nicht nur einen Einblick in die gegenwärtige Situation der Rohstoffförderung in Katanga, sondern verdeutlicht auch die eigentlichen Aufgaben eines Dokumentarfilmers – Dokumentieren statt Kommentieren.

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Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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