Mini-AKW: Zu teuer, zu spät, zu unsicher

Modell eines Small Modular Reactor aus China (Bild: ChinaImages) Modell eines Small Modular Reactor aus China (Bild: ChinaImages)

 

Mini-AKW, sogenannte «Small Modular Reactors» sollen die Versorgung mit Atomstrom sichern und mithelfen, den Klimawandel zu bekämpfen. Doch es gibt gleich mehrere Haken an der Sache.

 

«Wir verändern die Welt.» Clay Sell, Direktor des US-amerikanischen Nuklearunternehmens X-Energy, nahm am 28. Oktober den Mund besonders voll, um eine Delegation Offizieller von einem Projekt zu überzeugen, für das er sich eine Menge Geld vom Staat erhoffte: Ein Atomkraftwerk, bestehend aus vier Reaktormodulen, die als «Small Modular Reactors» die Welt der Energieversorgung verändern sollen. Gemeint sind damit nach einer Definition der Internationalen Atomenergiebehörde Atomkraftwerke mit einer Leistung von maximal 300 Megawatt. «Small» ist relativ. Ein 300 MW-AKW kann genug Strom produzieren, um eine Grossstadt mit 750 000 Einwohnern mit Strom zu versorgen. Der Staat liess sich nicht lumpen. Aus dem am 5. November verabschiedeten Infrastrukturfonds in der Höhe von einer Billion US-Dollar kriegt X-Energy rund einen Tausendstel: Eine Milliarde, dazu weitere 160 Millionen aus dem Topf des Energieministeriums. Damit ist mehr als die Hälfte der projektierten Entwicklungs- und Baukosten von 2,2 Milliarden gedeckt. Schon 2028 soll das AKW der «vierten Generation», das auf eine passive Kühlung mit Helium setzt, ans Netz gehen. Von den «sichersten, effizientesten und fortschrittlichsten» Small Modular Reactors ist in der Eigenwerbung des Unternehmens die Rede. Die Technik, der sogenannte Kugelhaufenreaktor, bietet nichts fundamental Neues. In den vergangenen Jahrzehnten waren weltweit verschiedene Projekte primär aus Kostengründen gescheitert. Man setzte stattdessen auf Grosskraftwerke, die ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis boten. Nun werden die teils aus den 1960er-Jahren stammenden Ideen in den westlichen Industriestaaten vorwiegend von privaten Firmen aus den Schubladen geholt, weiter entwickelt und vermarktet, in aller Regel Jahre vor der Inbetriebnahme. Denn natürlich geht es auch ums Geld und ums Geld verdienen. Und damit ist es bei den kleinen AKW so eine Sache. X-Energy schweigt sich in der Eigenwerbung nicht umsonst zum Strompreis aus und spricht stattdessen in Allgemeinplätzen von Sicherheit, Effizienz und Fortschritt. Mit Effizienz ist dabei vor allem eine Art Serienproduktion gemeint. Die AKW sollen pfannenfertig aus der Fabrik mit Schwertransportern an beliebige Standorte geliefert werden. Am Ende ihrer Laufzeit holt sie der Erbauer wieder ab. Dasselbe verspricht auch der Milliardär Bill Gates mit «Terra Power». Doch auch er erhofft sich die Hälfte der Baukosten aus staatlichen Mitteln. Sein Versprechen: Er werde, wenn denn die Serienproduktion einmal angelaufen sei, die Kosten von vier auf eine Milliarde senken. Gates, ist wie alle Befürworter der Atomenergie, überzeugt, dass nur mit Hilfe der Atomkraft der Klimawandel begrenzt werden kann. Das erinnert an vollmundige Versprechen der 1950er-Jahre, als Mini-AKW in Koffergrösse propagiert werden, mit denen sich Kleinstädte versorgen lassen sollten. Stromzähler sollten keine mehr vonnöten sein. Denn die Spaltung von Atomkernen versprach ja Energie im Überfluss. Es blieb beim Versprechen.

Heute tragen 415 Atomreaktoren weltweit zu rund zehn Prozent zur Stromversorgung bei. Beim gesamten Energiebedarf ist der Anteil mit zwei Prozent schon beinahe vernachlässigbar. Dazu kommt, dass es schon kaum mehr gelingt, den derzeitigen Bestand zu halten. Die Reaktorflotte ist mit einem Durchschnittsalter von 31,1 Jahren (277 sind über 30 Jahre in Betrieb) inzwischen so veraltet, dass eher mit einem Rückbau als mit einem Ausbau zu rechnen ist. Aktuelle Projekte in Frankreich, Grossbritannien und Finnland kämpfen mit extremen Kostenüberschreitungen und langen Verzögerungen. Und selbst in China, das ein sehr ehrgeiziges Ausbauprogramm betreibt und den bisher einzigen an Land betriebenen Small Modular Reactor weltweit in Betrieb genommen hat, sind die Pläne ins Stocken geraten. In Russland sind seit bald zwei Jahren zwei kleine, auf dem Schiff Akademik Lomonossow installierte Reaktoren in Sibirien in Betrieb, wo sie die Küstenstadt Pewek versorgen. Auch in Kanada gibt es ähnliche Pläne für die entlegenen Gebiete in der Arktis. Das ist ein reichlich dünner Leistungsausweis, um die Welt zu verändern. Dennoch trommeln auch in Europa seit kurzem vor allem der britische Premier Boris Johnson und der französische Präsident Emanuel Macron für die SMR. Macron macht damit eine grosse Kehrtwende. Noch bei seinem Amtsantritt hatte er von einer Reduktion der französischen AKW-Flotte, der drittgrössten der Welt, gesprochen. Nun sieht er in den SMR die Zukunft – auch wenn die eigenen Projekte noch kaum über das Planungsstadium hinaus gediehen sind.

Das Öko-Institut in Freiburg hat sich im Auftrag des deutschen Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung einen weltweiten Überblick verschafft und eine perspektivische Bewertung vorgenommen. Danach gibt es aus Vergangenheit und Gegenwart nicht weniger als 136 Reaktor-Projekte. 31 davon hat das Öko-Institut genauer unter die Lupe genommen . Von den technischen Grundlagen abgesehen lassen sich daraus einige kritischen Punkte betrachten, die SMR insgesamt als fragliche Alternative, insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels erscheinen lassen, eine punktuelle Verwendung aber als durchaus sinnvoll erachten lassen. Auffallend ist, dass insbesondere in jenen Staaten mit eigenen Atomwaffen beziehungsweise Atom-U-Booten die Mini-AKW propagiert werden, die USA, China, Russland, Frankreich und Grossbritannien als klassische Atommächte sind alle im Boot. Schon in den 1950er-Jahren war die Entwicklung der ersten zivilen AKW von den Atomreaktoren in U-Booten ausgegangen. Diese enge Verzahnung militärischer und ziviler Nutzung scheint ungebrochen zu sein, und die Verschiebung der Projektentwicklung in den privaten Sektor lässt sich auch bei der Raumfahrt beobachten. Noch nicht einmal im Ansatz gelöst sind die regulatorischen Anforderungen. Es gibt keine SMR-spezifischen nationalen und internationalen Sicherheitsstandards. Diese, so das Öko-Institut, wären aber unbedingt notwendig, denn viele der SMR-Projekte basieren auf Technologien zur Kühlung, für die es noch gar keine Sicherheitsstandards gibt. Der Forschungsbedarf auch für die Regulierungsbehörden sei enorm. Zu hinterfragen sei auch der gerne postulierte Ansatz, SMR seien grundsätzlich sicherer und erforderten deshalb auch geringere Sicherheitsstandards. Dieser Nachweis stehe nach wie vor aus. Das gelte auch für die Kostenrechnung. So komme die Versorgung auch entlegener Gebiete mit «Mikrogrids», also massgeschneiderten Überlandleitungen, günstiger zu stehen, von Wind und Photovoltaik ganz zu schweigen. Denn auch SMR seien in ein «grosses, globales Produktionssystem» integriert, das vom Uranabbau bis zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle reiche. Dabei seien «signifikante» Kostenersparnisse durch den modularen Bau von ganzen SMR oder Komponenten nicht zu erwarten. Die leichten Produktivitätssteigerungen würden durch den steigenden Transportbedarf kompensiert. Zudem stiegen die spezifischen Baukosten durch den Verlust der Skaleneffekte gegenüber grossen Kraftwerken. Nicht weniger als 3000 SMR müssten danach gebaut werden, um sie günstiger anbieten zu können als ein konventionelles Grosskraftwerk. Dazu käme als weiteres Problem eine wesentlich grossflächigere Verteilung der Mini-AKW’s, was wiederum Fragen zu deren Sicherheit vor Terroranschlägen oder Cyberangriffen aufwirft.

Der Klimawandel schreitet derweil voran. Sollte es gelingen, die Versprechen des jüngsten Klimagipfels von Glasgow tatsächlich umzusetzen, ist noch immer mit einer Erwärmung deutlich über zwei Grad zu rechnen. Eine weitere Beschleunigung des Umbaus der Energieversorgung erscheint vor diesem Hintergrund als unabdingbar. SMR, so das Versprechen, sollen ihren Beitrag dazu leisten. Es sieht eher nicht danach aus.  Dafür nach verfehlter Industrieförderung.

aus aller Welt

Katanga Business

  • Mit seinem Film „Katanga Business“ von 2009 vermittelt der belgische Regisseur Thierry Michel nicht nur einen Einblick in die gegenwärtige Situation der Rohstoffförderung in Katanga, sondern verdeutlicht auch die eigentlichen Aufgaben eines Dokumentarfilmers – Dokumentieren statt Kommentieren.

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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