Grossbritannien rüstet atomar auf und sendet das falsche Signal an die Welt

Das Unterseeboot HMS Victorious trägt Atomwaffen an Bord. Mindestens eines dieser U-Boote patrouilliert permanent, um für einen atomaren Schlag bereit zu sein. (Bild: UK Ministry of Defence) Das Unterseeboot HMS Victorious trägt Atomwaffen an Bord. Mindestens eines dieser U-Boote patrouilliert permanent, um für einen atomaren Schlag bereit zu sein. (Bild: UK Ministry of Defence)

 

Eigentlich kann es der Welt egal sein, ob das längst zur Mittelmacht gewordene Grossbritannien über 180 atomare Sprengköpfe verfügt oder ob es bis 2030 deren 260 sein werden, wie vom britischen Premier Boris Johnson angekündigt. Doch die fünftgrösste Atommacht der Welt setzt mit der Aufrüstung der Atomwaffenarsenale ein fatales Zeichen.

«2010 hatte die britische Regierung beabsichtigt, die Zahl nuklearer Sprengköpfe von maximal 225 auf maximal 180 bis Mitte der 2020er-Jahre zu reduzieren. Das lässt sich angesichts einer sich verändernden Sicherheitslage mit technologischen und ideologischen Bedrohungen nicht mehr aufrechterhalten. Grossbritannien wird deshalb die Zahl der Sprengköpfe auf maximal 260 erhöhen». Mit dieser Ankündigung im an das Parlament gerichteten 114-seitigen Bericht «Das globale Britannien in einem herausfordernden Zeitalter» macht der britische Premier nach einem Jahrzehnt der Abrüstung eine unerwartete Kehrwende. 195 Sprengköpfe hatte der us-amerikanische ThinkTank «Federation of American Scientists», der sich mit globalen Bedrohungen beschäftigt, für Grossbritannien im September 2020 gezählt. Damit lag das Land an fünfter Stelle der Atommächte, weit hinter Russland (6'372) und den USA (5'800) im Verfolgerfeld, angeführt von China (320) und Frankreich (290), dahinter Pakistan (160), Indien (150), Israel (90) und Nordkorea (35). Mit der nun angekündigten Aufrüstung dürfte sich an diesem Kräfteverhältnis auch in zehn Jahren nichts Wesentliches geändert haben. Das globale Britannien ist und bleibt eine atomare Mittelmacht. Wozu dann die Aufrüstung? Von dem «Minimum an Zerstörungskraft», das nötig sei, «um die nukleare Abschreckung glaubwürdig und effektiv zu machen gegenüber dem ganzen Spektrum staatlicher nuklearer Bedrohungen aus allen Richtungen», ist im Bericht die Rede, und weiter «von Kosten für einen potenziellen Gegner, die den potenziellen Nutzen bei einem Angriff bei weitem übersteigen». Das ist die Rhetorik des Kalten Krieges, einer fast schon in Vergessenheit geratenen Epoche in den Jahren 1949 bis 1989, als ein Dritter Weltkrieg möglicherweise nur verhindert wurde, weil die beiden atomaren Supermächte UdSSR und USA ein Bedrohungspotenzial aufgebaut hatten, das die Welt gleich mehrfacht hätte zerstören können. Und doch blickte sie gleich mehrfach in diesen Abgrund, am nächsten währen der Kubakrise 1962, am absurdesten 1983, als das sowjetische Frühwarnsystem irrtümlich Alarm schlug wegen eines Sonnenlichteffekts an hohen Wolken über Nord-Dakota. Der Retter der Welt war ein untergeordneter Offizier, der die Fehleranfälligkeit des Systems ahnte und auf eine Meldung an die höhere Stelle verzichtete. Als die Führer der beiden Weltmächte, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, Mitte der 1980er-Jahre einsahen, dass das atomare Wettrüsten moralisch und wirtschaftlich nicht mehr zu rechtfertigen war, kam es 1987 zum INF-Abrüstungsvertrag, mit dem die besonders gefährlichen, atomar bestückten Mittelstreckenraketen bilateral abgeschafft wurden. Am 2. August 2019 stiegen die USA und Russland aus dem Abkommen aus. Es war der Wiedereinsteig in ein neues nukleares Wettrüsten, dem «zweiten nuklearen Zeitalter», in dem nicht mehr die zwei Supermächte, sondern eine ganze Reihe von Atommächten über entwickeltere, smarte Waffensysteme verfügen. Nicht mehr die die Zahl der Sprengkörper ist dabei entscheidend, sondern das Wissen darum – im Cyberkrieg ist es denkbar geworden, dass eine feindliche Macht die Kontrolle über die Atomwaffen des Gegners übernimmt, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben. Und die neue Generation der Atomwaffen, wie sie derzeit in den USA und Russland entwickelt werden, soll den Einsatz von Atombomben ohne Kollateralschäden möglich machen. Als nur acht Tage nach dem Ende des INF-Abkommens eine russische, nuklearbetriebene und ultraschnelle Rakete «Skyfall», die Atomwaffen transportieren kann, bei einem Testflug abstürzte, wusste die Welt, was kommen könnte. Russlands Präsident Vladimir Putin erklärte ein Jahr später, Skyfall ziele auf die Vereinigten Staaten. Das macht in der Konsequenz das Unwahrscheinliche wahrscheinlicher und könnte sich, wie der Historiker Serhii Plokhy meint, sich auch in den Köpfen der verantwortlichen Politiker festsetzen. Und darin, so Plokhy, liege das Problem der britischen Wiederaufrüstung. «80 zusäzliche Sprengköpfe machen Grossbritannien nicht sicherer, wenn es zum Schlimmsten kommt. … Aber sie senden das falsche Signal in die Welt: Wiederaufrüstung.» Stattdessen hätte die Mittelmacht Grossbritannien gerade aus dieser Einsicht und eigenem Interesse heraus versuchen können, alle Atommächte an den Verhandlungstisch zu bringen, um über Abrüstung zu sprechen. Eine verpasste Chance.

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