«Der Salzstock Gorleben ist nach Anwendung der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien gemäß § 24 des Standortauswahlgesetzes kein Teilgebiet geworden. Damit greift die Regelung des § 36 Abs. 1 S. 5 Nr.1 Standortauswahlgesetz, wonach der Salzstock Gorleben aus dem Verfahren ausgeschlossen wird. Der Salzstock Gorleben wird daher bei den weiteren Arbeiten der BGE zu den Vorschlägen über die Standortregionen nicht betrachtet.» In nüchterner Beamtensprache hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung nach über 43 Jahren einen formellen Schlussstrich unter eines der politisch heissesten Eisen der jüngeren deutschen Geschichte gezogen. In Gutsherrenmanier hatte der niedersächsische Ministerpräsident am 22. Februar 1977 verkündet, im Wendland ein nationales Endlager für hochradioaktiven Atommüll samt Wiederaufbereitungsanlage zu errichten. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Es kommt zu einer nicht mehr abreissenden Protestwelle, zu wütenden Demonstrationen, Geländebesetzungen, der Ausrufung der «Republik Freies Wendland» - und einem schrittweisen Zurückkrebsen der Behörden. Nur der Bau eines atomaren Zwischenlagers wird durchgesetzt. 13 «Castor»-Transporte aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague in Frankreich nach Gorleben werden trotz riesiger Proteste durchgeführt, der letzte am 28. November 2011. 20'000 Polizisten begleiteten damals die Behälter auf ihrer 1200 Kilometer langen Reise. Am 27. Juli 2013 werden die Erkundungsarbeiten am Salzstock Gorleben beendet. Gut sieben Jahre später ist der Schlussstrich auch formell gezogen.
Gorleben hat Deutschland verändert, zu einer besseren Demokratie gemacht, mit einer sich damals gerade formierenden Bewegung, der heute zugetraut wird, in absehbarer Zeit auch das höchste Regierungsamt zu besetzen: Die Grünen. Gorleben hat die Deutschen atomskeptisch gemacht, in fast allen Umfragen seither überwiegt das atomkritische Lager, und wenn Ende 2022 das letzte AKW abgeschaltet sein wird, hat auch die Politik den Schlussstrich gezogen, der für weite Teile der Bevölkerung unabdingbar war. Und es war auch eine demokratische Meisterleistung, nach einer ausgiebigen Debatte vor drei Jahren das Endlager-Dossier in die staatliche Hand zu nehmen, nicht nur für die Suche danach, sondern auch für dessen Betrieb. Die privaten Betreiber der Atomkraftwerke bleiben weiter für die Entsorgung der AKW’s zuständig, die Endlagerung aber ist nun Sache des Staates.
Nun beginnt diese Suche von Neuem. Das zeigt der von einem Expertengremium verfasste, erste «Zwischenbericht Teilgebiete» der «Bundesgesellschaft für Endlagerung». Nicht weniger als 54 Prozent des deutschen Staatsgebietes sind darin als potenzielle Endlagerstätten ausgewiesen. Begonnen hatte man mit einer «weissen Deutschlandkarte». Nun ist diese deutlich in 90 Teilgebieten eingefärbt. BGE – Co – Geschäftsführer Steffen Kanitz betont in einer Pressemitteilung, man sei «von einer Vorentscheidung für einen Standort noch ein gutes Stück entfernt». In den Szenarien wird davon ausgegangen, dass frühesten 2031 ein Standortentscheid gefällt werden kann. Doch zuerst soll die Stunde der Öffentlichkeit schlagen. „Jetzt freuen wir uns auf die Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern und der Fachöffentlichkeit über unsere Ergebnisse, unsere Methoden zur Anwendung der Kriterien des Standortauswahlgesetzes und die Arbeit an neuen Aufgaben mit unserem engagierten Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.“ Doch diese Sache zeigt schon einen ersten Haken, wie die Atommüllkonferenz, ein Zusammenschluss von 50 Umweltorganisationen, betont. Sie fordert «völlig Transparenz und echte Mitwirkung». Diese brauche «Zeit und Augenhöhe», sagt Antje von Broock vom Bund für Umwelt und Naturschutz BUND. So stehe die für Mitte Oktober geplante Fachkonferenz Teilgebiete zwar allen Interessierten offen, doch diese würde schon im Juni kommenden Jahres wieder aufgelöst. Zudem würden finanzielle Mittel für unabhängige wissenschaftliche Expertisen verweigert. «Wir wissen kaum, wie wir die Datenlage so überprüfen sollen.» Mit diesem Problem schlägt sich auch das «Nationale Begleitgremium (NBG) herum, die als staatlich sanktionierte Bürgervertretung den Entscheidprozess begleitet. Das NBG habe den Auftrag, geologische Daten, die aus rechtlichen Gründen nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden dürfen, «von unabhängigen Sachverständigen in einem gesicherten Datenraum prüfen zu lassen». Doch dafür fehle die «finanzielle und organisatorische Ausstattung». Das NBG brauche diese Mittel dringend, «um das Vertrauensgremium aus Sachverständigen unverzüglich einberufen zu können.» Überhaupt empfiehlt das NGG der Bundesgesellschaft für Endlagerung eine «gläserne Arbeit» vor und empfiehlt die Einsetzung einer internationalen Expertenrunde für die weitere Begutachtung.