Viel Wind, aber um was nur?

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In loser Folge erscheint unser dreiteiliges Dossier zur deutschen Energiewende, die immer mehr ins Stottern gerät. Ihre tragende Säule, die Windenergie, muss im ablaufenden Jahr einen drastischen Rückgang verzeichnen. Der harte Gegenwind ist eine Aufgabe für die Politik, aber die scheut sich. Bleibt Atomstrom obenauf? 

Die Windräder der Anlage Rohrenkopf im Südschwarzwald drehen sich seit 2017 und speisen jährlich im Schnitt 32 Mio Kilowattstunden ins Netz ein, Strom für etwa 15.000 Haushalte. Bis dieser erste Windpark der Elektrizitätswerke Schönau in Betrieb war, vergingen inklusive Genehmigungsverfahren rund 26 Monate. Das ist aus heutiger Sicht sensationell kurz. Der zweite Windpark des Ökostromproduzenten ist seit zwei Jahren in Planung. „Wir konnten bisher noch keine Genehmigung erreichen“, sagt Sebastian Sladek, Geschäftsführer und Sohn der EWS-Gründer Ursula und Martin Sladek. „Die sehr geringe Anzahl an Genehmigungen in 2017“, nennt auch das Umweltbundesamt als eine der Ursachen des geringen Zubaus neuer Windanlagen an Land. In diesem Jahr gingen laut einer Studie der Fachagentur Wind bis Herbst 150 neue Windanlagen in Betrieb. Im Vorjahr waren es im Vergleich immerhin 762. Es handelt sich also um einen Rückgang von rund 80 Prozent.

 

Rückgang des Zubaus von onshore Windkraft. Grafik: Fachagentur Wind an Land 2019

 

 

Zähe Verfahren, starke Kläger
Der Wind habe sich gedreht, meint Sladek, auch Pressesprecher der EWS. Seit dem veränderten Ausschreibungsverfahren von 2014 hätten sich die Rahmenbedingungen für Windanlagen deutlich verkompliziert. Hohe finanzielle Risiken und die bürokratischen Hürden sind für Klein- und Mittelständer oft nicht tragbar. Für ein Genehmigungsverfahren müsse man mit mehreren 10.000 Euro Kosten rechnen – bei unsicherem Ausgang. Weiter verpflichtet sich der Investor innerhalb von 24 Monaten zu bauen und muss auch dafür eine Sicherheitseinlage leisten in Abhängigkeit von der Projektgröße; sechsstellige Beträge sind schnell beisammen. Bei Nichteinhaltung ist das Geld futsch, die Genehmigung ebenfalls, stufenweise fallen Strafzahlungen an. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass das Zeitfenster überschritten wird. „Eine Umfrage der Fachagentur Wind und des Bundesverbands Windenergie hat gezeigt, dass aktuell mindestens 325 Windenergieanlagen mit einer Leistung von mehr als 1.000 MW beklagt sind. Die häufigsten Klagegründe sind im Artenschutz verortet“, sagt Martin Stallmann von der Pressestelle des Umweltbundesamtes. Ökologische Gründe dienten ideologischen Gegnern vielfach als Vorwand, kommentiert Sladek. „Es gibt eine sehr aggressive Oppositionsgruppe, die massiv einschüchtert, “, sagt der EWS-Geschäftsführer. Hinter der Internetseite vernunfkraft.de stehe eine Vereinigung, die den Widerstand gegen Windanlagen organisiere und Spenden vom Stromkonzern RWE erhalte. Es sei in Ordnung, dass man in einem Rechtsstaat Klage einreichen dürfe. Aber dass man klagen dürfe, nur um Zeit zu verschleppen, müsse unterbunden werden. Seiner Meinung nach stiehlt sich die Politik aus der Verantwortung, wenn sie Entscheidungen, wie die Genehmigungen an die Kommunen delegiert. Kein Landrat werde im Zweifelsfall abweichend entscheiden, meint der Ökostromexperte. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, braucht es politische Maßnahmen auf Bundesebene.

 

Problematik der Netzengpässe
Ein weiteres Problem seien fehlende Netze für die Einspeisung und Verteilung der Windenergie und generell der Erneuerbaren, so Sladek weiter. Der Strom, der in Windanlagen vor allem nördlich der Rhein-Main-Linie transportiert wird, kommt nicht oder nur schwerlich nach Süddeutschland, dorthin wo der Verbraucherbedarf höher ist. Jährlich gingen dadurch Milliardensummen verloren. Denn die Windanlagenbetreiber erhalten, wenn ihre Anlagen wegen Überkapazität still stehen, eine Ausfallvergütung. Ein gefundenes Fressen dies für die Gegner der Energiewende, sie in Schimpf und Schande zu reden. Die Pressestelle der Bundesnetzagentur relativiert und spricht von rund einer Milliarde Kosten jährlich. Der Netzausbau sorge künftig für „eine engpassfreie Einspeisung der Erneuerbaren“. Aber das dauert. Es handle sich um eine Infrastrukturmaßnahme von enormem Ausmaß 600 Kilometer lange Stromtrassen zu realisieren. Von einer Freileitung sei man zu einer Erdkabelvariante übergegangen, was andere Berechnungsszenarien zur Folge hatte. Solche Bauvorhaben brächten zudem enorme Beteiligungsverfahren, nicht zuletzt bei Bürgern und Verwaltungen mit sich. Tatsächlich nahm der Anteil der Erneuerbaren am Gesamtstrom in den vergangenen Jahren zu, aber auch das Einspeisemanagement. Die Abregelung (zeitweises Abschalten) von Windanlagen hat nicht nur damit zu tun, dass der Netzausbau sich verzögert, auch der europäische Stromhandel spiele eine Rolle, sowie die erhebliche Mindesterzeugung konventioneller Kraftwerke, so Martin Stallmann vom Umweltbundesamt. Kritiker wie die Energieökonomin Claudia Kemfert fordern schon länger, konventionelle Kraftwerke abzuschalten. Durch deren Überkapazitäten könnten sich Erneuerbare nicht rechnen, kämen gar nicht ins Netz. Es tobe ein Kampf um Strom um die Geschäftsmodelle der fossilen Energie aufrechtzuerhalten.

Die Darstellung ist aktuell (Stand Juni 2019). Grafik: Umweltbundesamt

 

Politik weicht aus
Vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie kommen Lippenbekenntnisse. Im neuen Klimaschutzprogramm werde das politische Ziel bestätigt, bis 2030 einen Anteil von 65% erneuerbarer Energien am Stromverbrauch zu erreichen, heisst es aus der Pressestelle. Kritiker behaupten, dass die Klimaschutzziele damit nicht erreicht würden. Fraglich ist auch wie der Anteil überhaupt erreicht werden soll. Derzeit liegt er bei knapp 38 Prozent. Eine gesetzliche Verankerung des formulierten Ziels im EEG steht ohnehin aus. Und was bisher nicht öffentlich diskutiert wurde: „Die Zielsetzung in Bezug auf die installierte Leistung an Windenergie an Land wurde gesenkt, was durch höhere Ziele im Bereich Offshore und Photovolatik kompensiert wurde“, heisst es weiter aus der Pressestelle des Umweltbundesamtes. So wirkt es wie politisches Kalkül, dass Peter Altmaier nun den Mindestabstand einer Windanlage von 1000 Meter zum nächsten Wohngebiet gesetzlich festschreiben will. Mit diesem Gesetz gingen zig potentielle Windrad-Standorte in Deutschland über die Wupper und damit zig Planungen, so Kritiker. Die Folge: Der Rückgang des Ausbaus wird sich in den kommenden Jahren also weiter fortsetzten. Für Anton Hofreiter von den Grünen ruiniere der Gesetzesentwurf den Ausbau der Windenergie vollends. Der Politiker vermutet dahinter einen ideologischen Kampf gegen die Energiewende.

Noch drehen sich die Windräder am Rohrenkopf bei Gersbach. Abgeschaltet wurden sie seit Inbetriebnahme von zwei Jahren noch nie. Im Südbadischen habe man tendenziell immer eher zu wenig Strom, kommentiert EWS Geschäftsführer Sladek. Wann der geplante, zweite Windpark genehmigt wird, ist unklar.Es wird viel Wind gemacht um die Windenergie, die Fakten sind ernüchternd. Erst recht, wenn man sich den Anteil der Erneuerbaren am gesamten Energiekuchen bewusst macht. Meist ist nur vom Strom die Rede. Im Bereich Wärme liegt er bei 14,2 Prozent und im Sektor Mobilität bei gerade mal 5,7 Prozent. „Gesamthaft betrachtet liegt der Anteil der Erneuerbaren bei 12 Prozent“, sagt Sladek. Ob die deutsche Energiewende gelingt und politisch gewollt ist, daran bestehen momentan berechtigte Zweifel.

 

Links:

Studie der Fachagentur Wind zur Ausbausituation der Windenergie an Land im Herbst 2019

Pressemeldung vom Bundesverband Windenergie 2018

Statistik der Erneuerbaren Energien in Zahlen

Deutschlandfunk über den Gesetzesentwurf von Peter Altmaier zur Abstandsregelung

Geologisches Tiefenlager

  • Geologisches Tiefenlager

    Zu einem geologischen Tiefenlager gehören sowohl die Oberflächen-Anlage als auch die in mehreren hundert Metern Tiefe im Wirtgestein liegende Anlage, in der die radioaktiven Abfälle in Stollen oder Kavernen mithilfe passiver Sicherheitsbarrieren [siehe auch Geologische Barriere] dauerhaft von Mensch und Umwelt isoliert werden.

Castorbehälter

  • Castorbehälter

    Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials. Castor ist ein geschützter Name der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Ein gefüllter Castorbehälter wiegt 110 bis 125 Tonnen. Die Herstellung eines Castorbehälters kostet rund 1,5 Millionen Franken. Zur Aufbewahrung radioaktiver Materialien werden auch noch andere Behälter benutzt. Alle müssen aber dieselben technischen Anforderungen erfüllen. Sie weisen beispielsweise mehrere Druckräume auf.

Bis in die Ewigkeit: Ausschnitt aus dem empfehlenswerten Dokumentarfilm "Into Eternity" (2010)

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Kernfusion

  • Kernfusion

    Bei der Kernfusion verschmelzen in einer Kettenreaktion zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Es ist dieser Prozess, der auch die Sonne in einen leuchtenden Stern verwandelt. Konkret verschmelzen bei extrem hohen Temperaturen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern. Dies unter Freisetzung eines Neutrons und Energie. Diese Fusionsreaktion ist die Ursache für die Zerstörungskraft von Wasserstoffbomben. Seit Jahrzehnten experimentieren Forscher damit, sich dieses unglaubliche Energiepotenzial zunutze zu machen. Bislang verbrauchten die Kernfusionsversuche mehr Energie, als sie einbrachten. In Südfrankreich befindet sich der Fusionsreaktor Iter im Bau, der ab 2020 im großen Umfang Informationen über die weitere Entwicklung dieser Technologie geben soll. An dem 16 Milliarden Euro teuren Experiment sind zahlreiche Länder beteiligt. Es ist eine offene Frage, ob die Kernfusion tatsächlich einmal Strom für den Massenkonsum bringen kann. Auf jeden Fall wird dies noch Jahrzehnte dauern.

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