Bombiger Ehrgeiz

geschrieben von  Martin Arnold

Frankreich wollte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Atommacht werden. Damit war der Weg zu einer von der Atomenergie abhängigen Gesellschaft vorgespurt.

Plutonium kommt praktisch nicht in der Natur vor, es findet sich nur sehr selten in sehr alten Gesteinen. Die Produktion von Plutonium ist ein komplexer Prozess. Das so genannte Transuran ist ein extrem giftiges und radioaktives Schwermetall. Aber es ist auch der zentrale Bestandteil einer Atombombe. Um sich die Unabhängigkeit von der damaligen Sowjetunion und den USA an jedem Verhandlungstisch zu sichern, musste Frankreich nach der von militärischen Kriterien beherrschten Vorstellung Atomwaffen besitzen. Dies entsprach auch unter Präsident Charles de Gaulle dem Selbstverständnis einer Grande Nation mit Kolonien und dem Anspruch, eine Weltmacht zu sein. Nachdem bei der Bombe Little Boy, die über Hiroshima abgeworfen wurde, noch Uran-235 verwendet wurde, ging der Trend schon bald hin zur Verwendung von Plutonium. Denn das Material hatte sich „bewährt“. Die erste plutoniumhaltige Bombe, Fat Man, zerstörte drei Tage nach dem Hiroshima-Abwurf am 9. August 1945 Nagasaki.



Entdeckung eines aussterbenden Elementes
Plutonium wurde von amerikanischen Wissenschaftlern 1940 entdeckt und 1942 nach dem Planeten Pluto benannt. Dass Pluto auch der Gott der Unterwelt ist, machte den Namen umso passender. Plutonium ist das zuletzt entdeckte, natürlich vorkommende Element des Periodensystems. Sein Vorkommen verringert sich aber stetig. Wenn überhaupt, kommt es nur in sehr alten Gesteinen vor. Doch seit die Menschen Plutonium entdeckt haben, erlebt dieses hoch gefährliche Element ein Comeback. Einerseits wird es für die militärische Verwendung gebraucht, andererseits entsteht es bei der Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennstäben. Zwischen 1945 und 1980 wurden bei oberirdischen Kernwaffentests drei bis fünf Tonnen Plutonium freigesetzt. Spuren davon sind weltweit nachweisbar. Weitere Quellen sind Kernwaffenunfälle, der Brand des Reaktors der Plutoniumfabrik von Sellafield im Jahre 1957, Unfälle mit Atom-U-Booten, die illegale Verklappung radioaktiver Abfälle mit Plutonium in die Ozeane und – lokal begrenzt – die Unfälle von Kyschtym bei der Kernanlage Majak (1957) und Tschernobyl (1986).



In den abgebrannten Brennstäben eines konventionellen Kernkraftwerkes findet sich Plutonium zusammen mit Spaltprodukten und unverbrauchtem Rest-Kernbrennstoff. In Wiederaufarbeitungsanlagen kann das Plutonium und das ebenfalls erwünschte, nicht verbrauchte Uran aus den Brennstäben herausgelöst werden. Dazu wird das Material zunächst in Salpetersäure gelöst und extrahiert. Nach dem Prozess bleiben weitere Spaltprodukte und Bestandteile zurück. Es gibt Plutonium Isotope von 236 bis 244 – je nach Anzahl der zugehörigen Neutronen und Protonen, die den Atomkern bilden.

Schweiz ist Plutonium los
Die Weitergabe von spaltbarem Material (wie Plutonium-239 und Plutonium-241) sowie von Materialien, die zu ihrer Herstellung geeignet sind, an Staaten, die keine Kernwaffen besitzen, unterliegt laut Absatz III des Atomwaffensperrvertrages der Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO). In Deutschland regelt das Atomgesetz den Umgang mit spaltbarem Material. Es bestimmt, wer unter welchen Bedingungen Plutonium in Deutschland befördern und besitzen darf. Dort werden auch die Plutonium-Isotope 239 und 241 als "besondere spaltbare Stoffe" den Kernbrennstoffen zugeordnet. Alle Plutoniumisotope mit ungerader Neutronenzahl zählen zu den wenigen Nukliden, die leicht und gut spaltbar sind. Alle Länder –so auch die Schweiz - haben gegenüber der IAEO, der internationalen Atomenergieorganisation, eine Auskunftspflicht. Laut einer Antwort der Schweizer Regierung auf eine entsprechende Anfrage lagerten in der Schweiz bis Februar 2016 20 Kilogramm reines Plutonium. Das hätte für vier Atombomben gereicht. Inzwischen ist das hoch gefährliche Material über Deutschland mit einem Spezialschiff in die USA gebracht worden. Zudem strahlen weitere rund 17 Tonnen Plutonium in abgebrannten Brennelementen, die an den Reaktorstandorten oder im Zwischenlager ZWILAG in Würenlingen lagern. Um einen Vergleich zu haben: Theoretisch genügt weniger als ein Kilogramm, um eine Atombombe zu bauen. Dies zumindest behauptet der Atomexperte Gerhard Locke. Deutschland besitzt gegen 90 Tonnen Plutonium in bestrahlten Brennelementen und gegen sechs Tonnen separiertes Plutonium in Mischoxid-Brennelementen (MOX-Brennstäbe), die aber auch aus Uran bestehen. Sie sind das Endprodukt aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague, das die Lieferanten des Ursprungsmaterials wieder zurücknehmen müssen. Langlebige Plutoniumisotope spalten sich auch spontan. Da die bei der Spontanspaltung freigesetzten Neutronen bei einer Atombombe zu einer Frühzündung und stark reduzierten Explosionswirkung führen können, ist Plutonium-240 für Kernwaffen unerwünscht. Alle Plutoniumisotope lassen sich durch schnelle Neutronen spalten und sind daher prinzipiell für den Bau von Kernwaffen geeignet. Die Spaltbarkeit von Plutonium durch schnelle Neutronen nimmt aber mit zunehmender Neutronenzahl ab. Die für den Atombombenbau relevante kritische Masse wird sowohl von der Spaltbarkeit mit langsamen als auch mit schnellen Neutronen bestimmt. Bei einer Atombombe gibt es eine Kugel aus Plutonium-239 und Uran-235. In dieser Kugel befindet sich eine Neutronenquelle, die aber erst dann ihre Wirkung entfaltet, wenn der angebrachte Zünder explodiert. Durch das Zusammendrücken der radioaktiven Stoffe wird die Kettenreaktion ausgelöst.

Umwandlung der Atomsorten eines Brennelementes (Graphik: Herbert Weidner)

Umwelt wird belastet
Bereits Ende der 1960er Jahre war absehbar, dass Frankreich genügend Bombenmaterial besass. Mit der Zündung einer Wasserstoffbombe, die ungleich viel stärker als eine Atombombe ist, wäre der Auftrag in La Hague beendet gewesen. Doch dann wurde die Anlage 1976 in die zivile Nutzung überführt. Beflügelt wurde diese Absicht durch die Ölkrise 1973, auf die Frankreich mit einer stärkeren eigenen Energieproduktion reagieren wollte. Bis 2015 wurden 32'000 Tonnen nuklearer Brennstoff wieder aufbereitet. Neben der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague befindet sich die Endlagerstätte für leichte und mittelradioaktive Abfälle von La Manche. In der Landschaft sieht dieser Ort aus, als würden einige Wiesenpyramiden parallel zueinander stehen. Die Endlagerung des über eine halb Million Kubikmeter umfassenden Abfalls ist sehr oberflächennah, und Nachmessungen haben gezeigt, dass die radioaktive Strahlung wesentlich höher ist als ursprünglich angenommen. Zudem ist das Lager weniger dicht. Statt der geplanten 200 bis 300 Jahre, während denen die radioaktiven Abfälle von der Umwelt abgeschirmt sein sollten, scheinen bereits jetzt Emissionen nach aussen zu gelangen. Ein weiterer dauerhafter Streitpunkt ist die Einleitung von schwach radioaktivem Abfall direkt ins Meer. Denn während das Versenken von Fässern inzwischen international verboten ist, gilt dies für die direkte Einleitung ins Meer nicht. Bereits 1997 wurde deshalb Radioaktivität an Krustentieren entdeckt. Doch die Diskussion über gesundheitliche Themen sind in der Region La Hague ein Tabu. Zu abhängig sind die Menschen von der Atomindustrie. Und zu gross die Angst, der hochverschuldete AREVA-Konzern, der Betreiber der Wiederaufbereitungsanlage La Hague, könnte Arbeitsplätze streichen. Denn Tausende von Stellen sind in Gefahr. Die Arbeitsplätze aber abzubauen, könnte ein Sicherheitsrisiko sein.

Zum Weiterlesen:

David Boilley, Nuklearphysiker, Präsident ACRO: "Messen und informieren"

Frank Leblond: "Weshalb also sparen?"

 

 

Film zum Baufortschritt am EPR - Reaktor Flamanville (2015) aus Sicht des Bauherren

Film: Die Sicht des Betreibers Areva zur Wiederaufbereitung in La Hague

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Alpha-, Beta- und Gammastrahlung

  • Alpha-, Beta- und Gammastrahlung

    Alphastrahlung
    Alphastrahlung ist eine ionisierende Strahlung. Die Reichweite beträgt in der Luft nur zehn Zentimeter, schon ein Blatt Papier reicht als Abschirmung. Gelangen Radionuklide , die Alphastrahlung emittieren (d. h. in die Luft ablassen), etwa durch Nahrung oder die Atemwege in den Körper, sind sie ungleich gefährlicher. Typische Alphastrahler sind Uran und Thorium sowie deren Zerfallsprodukte Radium und Radon. Ein Beispiel ist Radium-226 .

    Betastrahlung
    Betastrahlung ist eine Teilchen-Strahlung mittlerer Intensität. Die Reichweite beträgt je nach Radionuklid in der Luft bis zu acht Metern, zur Abschirmung genügen in der Regel einige Millimeter Aluminiumblech oder Beton. Typische Betastrahler sind Iod-131 und Strontium-90, die beide bei atomaren Unfällen freigesetzt werden. Betastrahlung kann die Haut durchdringen. Im Körper reichert sich Iod-131 in der Schilddrüse an, Strontium-90 wird in die Knochen eingebaut. Beides kann zu schweren Krebserkrankungen führen.

    Gammastrahlung
    Gammastrahlung ist eine dem sichtbaren oder ultravioletten Licht vergleichbare, aber wesentlich energiereichere elektromagnetische Strahlung. Sie entsteht etwa nach einem Alpha- oder Betazerfall eines Teilchens, wenn noch ein Überschuss an Energie vorhanden ist. Die Reichweite von Gammastrahlung beträgt in der Luft mehrere hundert Meter. Sie durchdringt auch den menschlichen Körper. Zur Abschirmung ist dicker Beton oder Wasser nötig.

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