Radikale Kehrtwende der südkoreanischen Atompolitik

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Südkoreas neu gewählter Präsident, der linksliberale Moon Jae-In, macht Ernst mit seiner Ankündigung einer Energiewende. Nachdem er schon kurz nach seiner Wahl angesichts horrender Feinstaubbelastungen die befristete Abschaltung der acht ältesten Kohlekraftwerke des Landes verfügt hatte, kündigt er nun den Atomausstieg an. Es wird angesichts der extremen, in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Abhängigkeit von Kohle- und Atomstrom sehr lange dauern.

Der südkoreanische Präsident Moon Jae-In, seit 10. Mai im Amt, macht nach Jahren des starken Ausbaus sowohl von Kohle- als auch Atomkraft eine radikale Kehrtwende. «Wir werden unsere auf Atomkraft konzentrierte Energiepolitik stoppen und auf ein nuklearfreies Zeitalter hinsteuern», erklärte an einer Rede anlässlich der Abschaltung des Atomreaktors Kori-1, der programmgemäss nach 40 Betriebsjahren vom Netz genommen wird. Sämtliche Pläne für den Neubau von Atomkraftwerken würden gestoppt, und es werde keine Laufzeitverlängerungen für die bestehenden 25 Atommeiler geben. Damit würden diese nach 30 Jahren Betriebszeit abgeschaltet. Moon Jae-Ins Vorgänger hatten routinemässig Laufzeitverlängerungen um 10 Jahre bewilligt, bis 2029 sollte der Kraftwerkspark auf 36 AKW ausgebaut werden. Deren Anteil an der Stromproduktion wäre damit auf 40 Prozent gesteigert worden. Aktuell liegt er bei 30 Prozent. Südkoreas Kraftwerkpark ist vergleichsweise jung, alleine seit 2000 sind neun Reaktoren ans Netz gegangen, der jüngste wurde 2016 in Betrieb genommen, vier weitere sind im Bau. Damit war Südkorea 2016 der fünftgrösste Produzent von Atomstrom. Bei der Kohle ist Südkorea binnen nur eines Jahrzehnts von Platz zehn auf Platz fünf der grössten Verbraucher aufgestiegen.


Sicherheit und Umweltschutz wichtiger
Moon Jae-in anerkannte in seiner Rede die Bedeutung der Atomenergie für die rasche Industrialisierung des Landes, das noch vor fünf Jahrzehnten zu den ärmsten der Welt gezählt hatte. Doch der Super-Gau von Fukushima habe alles verändert. Eine ähnliche Katastrophe in Südkorea, wo viele Atomreaktoren in dicht besiedeltem Gebiet stehen, würde die Evakuation von Millionen Menschen bedingen. Südkorea sei heute wirtschaftlich hoch entwickelt, und der Fokus richte sich nun mehr und mehr auf die Umwelt. Die Sicherheit und das Leben der Menschen stünden heute an oberster Stelle. Auch in der Öffentlichkeit ist der Stern der Atomenergie am Sinken. Das Image der Branche leidet seit einem 2013 aufgeflogenen Korruptionsskandal, als Sicherheitszertifikate gefälscht worden waren. Und ein heftiges Erdbeben der Stärke 5,4 im vergangenen September zeige, dass Südkorea vor schweren Beben nicht gefeit sei.


Erneuerbare Energien mit grossem Rückstand
Ob der mit einem Stimmenanteil von knapp über 40 Prozent gewählte Moon Jae-In damit auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich scharen wird, ist keineswegs sicher. Zwar gibt es eine lange Tradition lokalen Widerstands gegen AKW-Bauprojekte, aber auf der nationalen Ebene erreichen die Umfragen deutliche Mehrheiten zugunsten der Atomkraft, mit leicht sinkender Tendenz. Anderseits ist das Vertrauen in die Sicherheit der Anlagen seit Fukushima deutlich gesunken. Im Präsidentschaftswahlkampf hatten sich alle Kandidaten mit realistischen Siegeschancen für eine Reduktion der Abhängigkeit von Kohle und Atomenergie ausgesprochen. Der Wahlsieger hatte sich im Vorfeld eine Reduktion des Atomstromanteils auf 18 Prozent im Jahr 2030 und der Kohle auf 25 Prozent ausgesprochen. Kompensiert werden soll dieser Ausfall primär durch Flüssiggas, das 2030 mit einem Anteil von 37 Prozent zum wichtigsten Energieträger für die Stromproduktion werden soll. Erneuerbare Energien sollen bis dann mit einem Fünftel auch die Atomenergie überflügen. Das Ziel ist ambitioniert, denn heute sind sie in der Energiebilanz mit knapp vier Prozent schon fast vernachlässigbar. Unklar ist, inwieweit der Staat schadenersatzpflichtig werden könnte. So sollen die 2016 begonnenen Bauarbeiten an den Atomreaktoren Shin Kori 5 und 6 nicht fortgesetzt werden. Und unklar bleibt auch, wie es nach 2030 weitergehen soll. So oder so: Es wird eine lange Reise werden.

 

Quellen:

https://www.ft.com/content/b49a9878-141b-11e7-80f4-13e067d5072c

http://uk.reuters.com/article/uk-southkorea-election-energy-idUKKBN17E1CN

https://www.nzz.ch/wirtschaft/bruch-in-der-energiepolitik-suedkorea-macht-atomkraft-zum-auslaufmodell-ld.1301812

https://www.theguardian.com/world/2017/jun/19/new-south-korean-president-vows-to-end-use-of-nuclear-power

 

Die Schweizer Bombe

  • Vor 70 Jahren hatte der damalige Ständerat und spätere Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen die Ächtung der Atomwaffen verlangt, deren Nutzung für friedliche Zwecke aber befürwortet. Im Geheimen hatte die Schweizer Regierung aber schon kurz nach Kriegsende die «Schaffung einer schweizerischen Uran-Bombe» vorangetrieben – die «Studienkommission für Atomenergie» unter Vorsitz des Kernphysikers Paul Scherrer fasste den entsprechenden Auftrag, von dem auch im Parlament niemand wusste. In den Jahren 1953 – 1955 wurden im Rahmen einer geheimen Vereinbarung zehn Tonnen Uran aus Belgisch-Kongo geliefert. Die Hälfte davon lagerte im Forschungsreaktor Diorit in Würenlingen – dem Sitz des heutigen Paul Scherrer – Institutes – als Rohstoff für die Atomwaffenfertigung. 1958 wurde diese Politik offiziell. «In Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wehrhaftigkeit ist der Bundesrat deshalb der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung der Unabhängigkeit und zum Schutze unserer Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören Atomwaffen», hiess es in einer Erklärung des Bundesrates. Inoffiziell sollte solange auf den Bau verzichtet werden, als dass keine anderen Mächte als die USA, Sowjetunion und Grossbritannien darauf setzten. Vor allem die deutschen Bombenpläne wurden argwöhnisch verfolgt. In den kommenden Jahren wurden geheime Aufrüstungspläne ausgearbeitet, auch Atombombentest waren dabei vorgesehen. Die Schweiz sei in der Lage, binnen von vier Jahren eine Atombombe zu entwickeln, das Know-How und das Geld seien vorhanden, hiess es damals im Militärkreisen. Erst mit Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages im November 1969 waren diese Makulatur. An der Option wurde indes grundsätzlich weiter festgehalten, auch wenn der Atomwaffensperrvertrag 1977 ratifiziert wurde. Die Nachfolgeorganisation der Studienkommisson für Atomenergie, der Arbeitsausschuss für Atomfragen, wurde erst 1988 aufgelöst. Seit 1995 trägt die Schweiz mit der Zustimmung zur unbefristeten Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages und zum Atomteststoppabommen die internationalen Bemühungen für ein Ende der Atomwaffen mit. Im Februar 2016 wurden 20 kg waffenfähiges Plutonium, das sich seit über 50 Jahren im Schweizer Besitz befand, in die USA transportiert.


Strommix in Deutschland, der Schweiz und Österreich 2014

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Im Innern des nie in Betrieb gegangenen AKW Zwentendorf

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Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

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