Zwischen 2008 und 2017 produzierte im irischen Strangford südöstlich von Belfast das bis dahin leistungsfähigste Meeresströmungskraftwerk der Welt Strom. Weil hier die Gezeitenströmung so stark ist, kam die Anlage auf eine Leistung von 1,2 Megawatt, obwohl dies wegen eines Defektes nur der halben Kraft entspricht. Die Meeresströmungstechnologie operiert heute meist unter der Wasseroberfläche. Statt des Tidenhubs lässt sich wie es der Name sagt die dabei entstehende Meeresströmung direkt zur Energiegewinnung nutzen. An solchen Projekten arbeiten inzwischen viele Forschungsgruppen, Universitäten und Energieproduzenten. Es gibt verschiedene Technologien. Eine Variante ist es, die eingesetzten Turbinen auf dem Meeresgrund zu verankern. Sie kreisen dort wie Windräder. Eine neue, inzwischen in Wales erprobte Gezeiten-Energiegewinnung arbeitet mit bis 14 Meter Spannbreite grossen, am Meeresboden verankerten Unterwasserlenkdrachen, die sich optimal der Strömung folgend ausrichten. Unterhalb des Drachens ist ein kleiner Propeller befestigt, Deep Green heisst dieses vom schwedischen Hersteller Minesto forcierte System. Pro Drachen kann bis zu 800 Kilowatt Leistung erreicht werden. Forscher errechneten, das so alleine vor der britischen Küste bis 18 Gigawatt Leistung herauszuholen wären, was 12 bis 18 leistungsfähigen Kernkraftwerken entspricht. Die Drachen würden in einer Tiefe von 50 bis 300 Meter verankert. Auf einer Tiefe von 100 Meter wurde 2017 in Nordwales bei Holyhead ein erster Drachen installiert. Kinderkrankheiten wurden inzwischen ausgeräumt, die Technik bewährt sich. Minesto möchte die Leistung nun schrittweise auf 80 Megawatt ausbauen. Die Regierung von Wales und die EU unterstützen das Projekt.
Zurückhaltende Industrie
Der Sprecher des deutschen Energieanbieters E.On, Markus Nietschke, verglich die Situation bei der Strömungstechnologie mit jener in den Anfängen der Windenergie in den 1980er Jahren. Und wie damals gibt es auch in der Meeresströmungstechnologie Rückschläge, die aber die wirklichen Enthusiasten nicht abschreckten. Diese hätten auch die Windkraft zu dem gemacht, was sie heute ist: einem bedeutenden Faktor bei der Energieproduktion. Auch wenn viele Projekte heute im kleinen Massstab realisiert würden, weil der gewonnene Strom für den Massenmarkt noch zu teuer sei, sei es nur eine Frage der Zeit, bis grosse Energieproduzenten und Investoren das Potential unter oder gleich auf der Wasseroberfläche entdeckten würden. das Bei letzterem handelt es sich um Wellenkraftwerke. Ein solches steht in Mutriku im spanischen Baskenland. Es hat eine ganz besondere Technologie. Die Funktionsweise der "aufsteigenden und abfallenden Wassersäule" ist raffiniert. Wenn eine Welle die Luftkammer erreicht, steigt der Wasserspiegel an und drückt die Luft nach oben durch die Turbine. Geht die Welle zurück, zieht der fallende Wasserspiegel die Luft nach unten und bewegt ebenfalls die Turbine. Die Turbinen bleiben dabei immer in derselben Richtung in Bewegung. Die 16 Turbinen, 300 Kilowatt Strom für 250 Haushalte liefern. Weil das Meer im Winter rauer ist, liefert es in dieser Jahreszeit mehr Energie. Im Sommer helfen Photovoltaikanlagen nach. Interessant in Mutriku: Der bereits bestehende Damm, der den Hafen vor Wellen schützt, wurde zu einem kleinen Kraftwerk umfunktioniert.
Produktionseinheit Schlange
Die Idee aus Wellen Energie zu gewinnen ist schon alt. 1799 wurde in Frankreich das erste Patent für einen Energiegewinnungs-Apparat vergeben. Auch in Portugal und Schottland gibt es Wellenkraftwerke. Sie bauen auf der Idee, die Wellen und die Höhenunterschiede zwischen Wellenkamm und Wellental auszunutzen. Die Produktionseinheit gleicht einer Schlange oder einem enorm langen U-Boot mit verschiedenen Gliedern. Dank der Wellenkraft bewegen sich die verschiedenen Glieder zueinander und diese Bewegung ermöglicht die Energieproduktion. Der Weltenergierat in London traut dieser Technologie zu, 15 Prozent des globalen Energiebedarfes decken zu können.
Grösster Wellenenergiepark
2019 wurde in Portugal der Startschuss zum Peniche Wellenenergiepark gegeben. Die finnische Firma AW-Energy baut dort die am Meeresboden verankerten dynamischen Konstruktionen mit dem Ziel, 4000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Der sogenannte Wave-Roller sieht aus wie eine überdimensionierte Windklappe nur dass sich diese Klappe nicht mit dem Wind, sondern mit den Wellen bewegt, die auf dieser Tiefe von 15 bis 25 Metern gut spürbar sind. Mit der Leistung von 50 bis 100 Megawatt ist Portugal mit einem Schlag führend in dieser Technologie.
Die Beispiele zeigen, dass das Meer, seine Strömungen und die durch die Mondanziehungskraft verursachten Gezeiten kurz davor sind, die Basis für eine Energieproduktion im grossen Stil zu bilden. Der Vorteil von Wellen und Gezeiten: Die Energieproduktion ist meist relativ stabil und damit ideal für die Produktion von Bandenergie.