Dänemark: Rechtsverbindlicher Klimaschutz

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Dänemark verzichtete 1985 endgültig auf die Atomenergie und erkaufte diesen Verzicht mit einer extremen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Doch dann setzte man auf den Wind und wurde zum weltweiten Pionier. Bis 2030 soll der Strom nur noch aus erneuerbaren Quellen kommen, 2050 die gesamte Energieversorgung. Ein neues Klimagesetz macht diese Pläne nun rechtsverbindlicher denn je.


1997: Im japanischen Kyoto einigen sich 156 Staaten nach langen Verhandlungen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, um der Erderwärmung entgegenzutreten. Im selben Jahr gewinnt Samsö, ein 112 Quadratkilometer grosses, von 4'000 Menschen bewohntes Eiland im dänischen Kattegat einen von der dänischen Regierung ausgeschriebenen Wettbewerb, einen Plan vorzulegen, mit dem sich binnen zehn Jahren die Energieversorgung auf ausschliesslich erneuerbare Quellen umstellen lässt. Während das Kyoto-Protokoll nur sehr zäh, teilweise gar nicht umgesetzt wird, ist Samsö schon 2003 am Ziel: Elf Windräder an Land, zehn weitere auf dem Meer, Fernwärme aus Stroh und Biomasse, Photovoltaik, Wärmedämmung und Wärmepumpen haben es möglich gemacht. Samsö wird gar zum Energieexporteur. Die Stromerzeugung übersteigt den Energiebedarf um 40 Prozent. Das eigentliche Geheimnis dieses Erfolges heisst Bürgerbeteiligung. So gehören die Windräder der Bevölkerung und damit auch die Einnahmen, die sich aus dem Stromverkauf aufs Festland erzielen lassen. Die Energiewende auf Samsö wurde weitgehend privat finanziert. Es war der Beweis, was der Wille möglich macht.
2020 schickt sich Dänemark an, das Modell Samsö auf das ganze Land zu übertragen. Nicht zum ersten Mal. So hat Dänemark den Windkraftausbau verfolgt wie kein anderer Staat. 50 Prozent der Stromproduktion stammen von Windkraftanlagen, und Vestas ist der nach Umsatz und installierter Kapazität grösste Anlagenbauer weltweit. Der dänische Windstrom ist kein «Flatterstrom», dem es an Zuverlässigkeit mangelt, wie er von Windkraftgegnern gerne ins Feld geführt wird. Ganz im Gegenteil: Dank der Anbindung an das skandinavischen Stromnetz mit ausreichender Leitungskapazität wird der dänische Windstrom an besonders windreichen Tagen in norwegischen Pumpspeicherkraftwerken gepuffert.
Angefangen hat diese Geschichte schon 1979, als das erste Windkraftwerk seinen Betrieb aufnahm. Damals hing das Land fast auf Gedeih und Verderb von Kohle- und Ölimporten ab, ab 1984 begann die Offshore-Gas- und Ölförderung in der Nordsee. Das trug dazu bei, 1985 auf den Bau von Atomkraftwerken endgültig zu verzichten. Zuvor waren Pläne gewälzt worden, die im Rhythmus von zwei Jahren den Bau von mehreren Atomkraftwerken vorsahen. Anfang des neuen Jahrtausends wurden die verbliebenen drei Forschungsreaktoren stillgelegt. Schon 1997 war Dänemark energieautark, aber die extreme Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen war geblieben. Doch dann wurden die Weichen neu gestellt, unter anderem mit einer wegweisenden Politik zur Förderung des Energiesparens. Die Elektrizitätswerke waren gehalten, das Energiesparen zu fördern und jene mit Rabatten zu belohnen, die weniger Strom verbrauchten. Viele Windkraftwerke wurden, dem Vorbild von Samsö folgend, von lokalen und regionalen Verbänden, gebaut und auch betrieben. Einspeisevergütungen gibt es seit 1991. Das förderte den Gedanken, dass jeder selber etwas beitragen kann zur Energiewende.
Radikal umgebaut wurde auch die Wärmeversorgung. Schon seit 2013 sind Öl- und Gasheizungen in Neubauten verboten, seit 2016 dürfen sie auch in Altbauten nicht mehr als Ersatz für fossile Heizkessel eingebaut werden. Wärmepumpen, Sonnenkollektoranlagen und lokale Fernwärmeverbünde haben sie ersetzt. 63 Prozent der dänischen Haushalte werden mit Fernwärme versorgt, in Kopenhagen, das schon 2025 klimaneutral sein will, sind es gar 98 Prozent. Zwei Drittel der Fernwärmeanlagen koppeln Stromerzeugung und Wärmegewinnung und sind damit besonders energieeffizient. Der Anteil erneuerbarer Energien, es sind vor allem Abfälle und importiertes Holz, liegt bei 50 Prozent. Er soll weiter steigen. Diese Programme waren so erfolgreich, dass die Entkoppelung gelang: trotz stetig weiter wachsender Wirtschaftsleistung sank der Stromverbrauch, der Energieverbrauch stabilisierte sich auf dem Niveau der 1970er-Jahre.
50'000 Petitionärinnen und Petitionären war das Anfang 2019 nicht genug. Sie verlangten ein Klimagesetz, das im Einklang steht mit dem auch von Dänemark unterzeichneten Pariser Klimaschutz-Abkommen, das die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen möchte. Tatsächlich war diese Vorgabe bei allen Erfolgen – Dänemark hat die Treibhausgasemissionen seit 1990 um bemerkenswerte 37,5 Prozent gesenkt - mit den geltenden Regeln nicht zu schaffen war. Bei der Parlamentswahl im Juni kam es zu einem Linksrutsch. Die neue Regierung unter Ministerpräsidentin Matte Fredenksen legte schon Ende 2019 ein Klimagesetz vor, das neben einer weiteren Beschleunigung des Ausstieges aus den fossilen Brennstoffen – bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 70 Prozent gesenkt werden – auch eine neue Verbindlichkeit für die jeweils Regierenden bringt. Das Klimaministerium muss nun jährlich Rechenschaft ablegen, ob die Klimamassnahmen auf Kurs sind. Diese Rechenschaftspflicht geht soweit, dass, wie Klimaminister Dan Jörgensen betont, der Rücktritt der Regierung erzwungen werden könne. Damit soll verhindert werden, dass es bei Regierungswechseln zu einem Politikwechsel kommen kann. Das mag rechtlich etwas gar ambitioniert sein, denn man kann ja niemandem verbieten, ein Gesetz zu ändern. Entscheidender dürfte sein, dass das Klimagesetz von einer breiten Koalition bis hin zu rechtskonservativen Parteien, die 95 Prozent der Stimmkraft im Parlament vertreten, angenommen wurde. Das Bekenntnis zur neuen Klimapolitik ist also breit abgestützt. Der Industrieverband liess verlauten, man werde den Rest der Welt inspirieren. Der zeitliche Horizont umfasst drei Jahrzehnte. Bis 2050 will Dänemark ausschliesslich auf heimischem Boden klimaneutral sein, ohne also CO2-Zertifikate von andern Ländern zukaufen zu müssen. Eine Forderung der Klimaaktivisten blieb unberücksichtigt. Denn das Pariser Abkommen sieht auch vor, dass die reichen Staaten die armen Länder dabei unterstützen, ihre Klimaziele zu erreichen. Da bleibt zu hoffen, dass es im Gesetz zumindest den Spielraum gibt, es im Geiste dieses Abkommens zu verbessern.

energieinsel

Energieinseln sollen als Drehscheibe für die Verteilung des Windstroms fungieren (Bild: Orsted)


Wie will Dänemark diese Ziele erreichen? Auch darüber schweigt sich das Gesetz konkret noch aus, mit Verweis auf den noch zu erarbeitenden Aktionsplan. Geplant ist unter anderem die Einführung einer CO2-Steuer, einer uralten Forderung vieler Klimaschützer. Eine zentrale Rolle für die Energieversorgung sollen sogenannte Energieinseln spielen. Sie werden im flachen Meer vor der Küste inmitten von Windparks aufgeschüttet und sollen einerseits als Drehscheibe für die Verteilung des Windstroms in einem europaweiten Netzverbund – Dänemark will die Windkraftkapazität bis 2030 soweit ausbauen, dass 7,7 Millionen Haushalte versorgt werden können, bei einer Einwohnerzahl von 5,8 Millionen -, anderseits auch mit Power-to-Gas-Anlagen überschüssigen Strom in Methan, Wasserstoff oder andere synthetische Gase umwandeln. Schon 2030 soll die erste Energieinsel in Betrieb sein, zusammen mit einem gigantischen Windpark mit einer Kapazität von 10 Gigawatt. Dänemark wäre dann, so wie die Insel Samsö ein Vierteljahrhundert zuvor, Netto-Exporteur von Strom aus erneuerbaren Energien. Bei geplanten Kosten von bis zu 40 Milliarden Euro ist nicht damit zu rechnen, dass das Geld ausschliesslich aus den Schatullen der Bürgerschaft kommt.

 

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