Robert Spaemann, Philosoph, Deutschland

«Technologie und Demokratie entwickeln sich auseinander.»

Robert Spaemann ist Philosoph. Er war ordentlicher Professor für Philosophie an den Universitäten Stuttgart, Heidelberg und München. Einen Namen hat er sich zudem als Autor zeitkritischer Beiträge zu ethischen, politischen und religiösen Fragen in überregionalen Zeitungen gemacht. Pointiert sind seine Stellungnahmen zur Kernenergie in seinem Buch „Nach uns die Kernschmelze“. Der Katholik war Berater von Papst Benedikt XVI.

»Ich glaube, dass die Gefahren bei der Produktion der Kernenergie bei größtmöglicher Professionalität und Seriosität minimiert werden können. Das löst aber nicht das grundsätzliche Problem der Endlagerung. Und dies ist der springende Punkt. Es gibt kein Endlager, also dürfte es auch keine Produktion der Kernenergie geben. Deshalb hat Deutschland meiner Meinung nach die richtige Entscheidung getroffen: den Ausstieg aus der Kernenergie. Alle bekannten Zivilisationen sind nur wenige Tausend Jahre alt. Wir haben erlebt, dass Wissen in Vergessenheit gerät. Wie können wir erwarten, dass Menschen in 10 000 oder noch mehr Jahren wissen, was wir ihnen mitteilen wollen, wenn wir ein Endlager kennzeichnen? Ich staune über die Naivität, daran zu glauben, dass dies möglich ist. Manchmal frage ich mich, wieso sich diese Technik durchgesetzt hat. Ihr werdet sein wie Gott, versprach die Schlange, um Adam und Eva zum Apfelgenuss zu verführen. Unglaubliche Mengen Energie aus einem Stück Uran zu gewinnen, scheint fast eine göttliche Tat zu sein. Ich erinnere mich an die Worte Robert Oppenheimers, des Vaters der Atombombe. Er bezeichnete die Atombombe als ›technically so sweet‹. Bei ihm wird die Widersprüchlichkeit im Umgang mit der Atomkraft deutlich. Als Wissenschaftler war er fasziniert, als Mensch wandte er sich gegen den Einsatz der Atombombe. Wer trägt nun die Konsequenzen aus der atomaren Energiegewinnung? Niemand kann es. Wenn es darum geht, für unsere Kinder und Enkelkinder, für den Stamm unserer Familie vorzusorgen, denken wir über die Konsequenzen unserer Entscheidungen nach. Im Kollektiv scheint diese Fürsorge zu versiegen. Ich habe mir schon früher über den Menschen und seine technischen Eingriffe in die Natur Gedanken gemacht. Es geht um zwei widerstreitende Haltungen. Erstens, um die Beherrschung der Natur, die für den Menschen ein Stück weit notwendig ist, um zu überleben, und zweitens um die Notwendigkeit, sich selbst als Teil der Natur zu begreifen. Beides gehört gleichermaßen dazu. Die traditionelle europäische Moral reicht aus, die richtigen Entscheidungen in diesen Fragen zu treffen. Es braucht dazu weder neue Antworten noch eine neue Moral. Es ist eine Frage des Gleichgewichts. Wir müssen nur die geistigen Werkzeuge verwenden, die es gibt. Auch wenn ich der Meinung bin, dass es besser gewesen wäre, nie mit der Kernenergie zu beginnen, nun haben wir das Problem mit dem Abfall. Es gibt das Interesse der Gesellschaft, das Endlager im geologisch am besten geeigneten Boden unterzubringen, und es gibt Menschen an diesem Ort, die es möglicherweise nicht wollen, aber gegen ihren Willen akzeptieren müssen. Das Beispiel zeigt, dass die Schere zwischen der technologischen Entwicklung und der Demokratie immer weiter auseinandergeht.«

 

Zum Weiterlesen:

Vom Saulus Atombombe zum Paulus Atomkraftwerk