Am besten vergessen

geschrieben von  Martin Arnold

Schweden und Finnland sind auf der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle weit gekommen. In Finnland wird es bereits gebaut.

Im Südosten Schwedens, gegenüber der Insel Gotland, befindet sich das 1995 eingeweihte Äspö Hard Rock Laboratory bei Oskarshamn. Umrahmt von bemoosten Fichtenwäldern liegt der Gebäudekomplex, der an ein Landschulheim erinnert. Forscher experimentieren im Untertaglabor für die Tiefenlagerung im potenziellen Wirtsgestein Granit. Im Gegensatz zu anderen Regionen müssen sich die skandinavischen Länder nicht zwischen verschiedenen Wirtsgesteinen entscheiden. Das Grundgestein besteht praktisch nur aus Granit. Es ist über eine Milliarde Jahre alt und die Tektonik ist weniger aktiv als im Alpenraum. Der Granit schliesst aber oft andere Gesteinsformen ein und weisst kleinste Risse auf, durch die Wasser fliesst. Die wissenschaftlichen Versuche im Felslabor sollen deshalb Antworten auf Fragen geben wie: Gibt es Verschiebungen im Gestein, bricht Wasser durch, wie sind die Druckverhältnisse, gibt es Gaseinschlüsse oder wie reagiert das Gestein auf Hitze? Der tiefste Punkt des Labors liegt 450 Meter unter dem Meeresspiegel und auch deutlich unter dem Meeresgrund der Ostsee. Der Weg in den Hades von Äspö weist zehn Prozent Gefälle auf und ist über drei Kilometer lang. Vom Haupttunnel gehen zahlreiche Nischen weg. Sie bieten für über 50 Experimente Platz. Mehrere Länder forschen hier, darunter auch die Schweiz.


Wegen der Korrosionsgefahr entschied sich Schweden für den teuren Kupfer bei den Einschlussbehältern – im Gegensatz zu Stahl bei anderen geplanten Endlagern. Denn Granit ist wasserdurchlässiger als Ton. Im nahe gelegenen Oskarshamn steht deshalb nicht nur ein Kernkraftwerk mit drei Blöcken, sondern auch das Canister Laboratory. Hier werden Versuche mit dem Element gemacht. Dabei geht es nicht nur darum, die Widerstandskräfte von Kupfer gegen Umwelteinflüsse zu testen, sondern auch um den richtigen Weg zu finden, die 15 Zentimeter dicken Wände der Kupferbehälter zu verarbeiten, ohne das Material zu schwächen. Ein Kupferkanister ist fünf Meter lang und wiegt über sieben Tonnen. Mit dem Füllmaterial wiegt er 25 Tonnen. Im Innern werden die Brennstäbe nochmals mit Stahl umhüllt und das Ganze dann in Kupfer eingekapselt. Das Metall birgt ein Problem, über das man sich auch andernorts schon Gedanken gemacht hat. Kupfer ist sehr wertvoll und wird nicht selten gestohlen. Bei den gegenwärtigen Weltmarktpreisen würde das verwendete Kupfer einen Wert zwischen 300 Millionen und einer halben Milliarde Euro besitzen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Wert dieses Rohstoffes noch steigt und seine Gewinnung eines fernen Tages ein Grund sein könnte, das gefährliche Lagergut zu bergen. Schweden hat mit Östhammar in der Nähe des Kernkraftwerkes Forsmark einen Ort, der ein Tiefenlager für hochradioaktive Stoffe auf seinem Gemeindeboden akzeptiert, zumal es hier bereits ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle gibt. Mehr noch, auch Oskarshamn hätte das Endlager haben wollen und wird nun mit umgerechnet 300 Millionen Franken getröstet. Beide Standorte wurden in einem Auswahlverfahren als besonders geeignet definiert. Die Bevölkerung sieht vor allem die wirtschaftlichen Vorteile dank der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Ausserdem ist der Pro-Kopf-Konsum von elektrischer Energie in Schweden doppelt so hoch wie etwa in der Schweiz und das Land hat eine lange Tradition in der Nukleartechnik, die mit der Inbetriebnahme des ersten Versuchsreaktors 1954 begann. Bis zur endgültigen Tiefenlagerung befinden sich die ausgedienten Brennstäbe bei Oskarshamn in einem zentralen Zwischenlager (Clab). Im Clab, dem so genannten Abklingbecken, stehen die Brennstäbe rund 40 Meter unter der Erdoberfläche erdbebensicher in riesigen Kühlbecken mit 40 000 Kubikmetern Wasser und einer Kapazität von 8000 Tonnen. Gegenwärtig befinden sich 6000 Tonnen Kernbrennstoff im Clab, und jährlich kommen 200 Tonnen hinzu. Anders als in anderen Ländern, wo die Brennstäbe in Castoren verpackt in einem Zwischenlager auf ihre Endlagerung warten, bleiben in Schweden die Brennstäbe zur Kühlung 30 bis 40 Jahre im Nasslager und werden dann direkt in die Kupferbehälter verkapselt. Die Verpackungsanlage wird gleich neben dem Zwischenlager gebaut und soll zusammen mit der Eröffnung des Tiefenlagers in Betrieb genommen werden.

Teurer Mantel

Zwar besitzt der Granit in Östhammar weniger Einschlüsse als andernorts und ist somit kompakter, doch ein Eindringen von Wasser innerhalb Tausenden von Jahren kann nie ganz ausgeschlossen werden. Deshalb entschieden sich die Schweden für Kupfer und deshalb wird hier – wie auch eines Tages in der Schweiz und in anderen Ländern – für jeden einzelnen Kanister eine eigene Kammer gebohrt. Noch ist offen, ob diese letzte Ruhestätte waagrecht oder senkrecht liegt. Ist der Container dort abgelegt, wird die Kammer mit Bentonit aufgefüllt. Diese spezielle Lava-Asche hindert Wasser eine gewisse Zeit daran, in Kontakt mit dem Kupfermantel zu kommen. Bis Ende der voraussichtlichen Laufzeit der bestehenden Kernkraftwerke werden gut 6000 Tonnen hochradioaktives Material in rund 500 Metern Tiefe unterhalb Forsmark abgelegt. Die endgültige Entscheidung über das Endlager wird voraussichtlich 2017 gefällt. Dann könnte nach schwedischen Plänen das Endlager 2029 rund 30 Jahre vor dem Schweizer Pendant den Betrieb aufnehmen. Die offiziellen Kalkulationen der für die Endlagerung zuständigen Svensk Kärnbränslehantering AB (SKB) gehen von rund 5,5 Milliarden Euro Gesamtkosten für die Endlagerung aus. Dies scheint aus heutiger Sicht eine zu optimistische Kalkulation und selbst SKB-Leute gehen hinter vorgehaltener Hand von 15 Milliarden Euro Lagerkosten aus.



Die SKB in Schweden arbeitet eng mit ihrer finnischen Schwesterorganisation zusammen. Der skandinavische Nachbar ist noch weiter im Aufbau eines Tiefenlagers für hochradioaktive Abfälle. Konkret: Es wird längst gebaut. Die Zufahrtsrampe ist befestigt, doch im Tunnelinnern nach rund einem Duzend Rechtskurven, die sich in das Erdinnere schrauben, in einer Tiefe von rund 440 Metern ist der Tunnel noch nicht ausgekleidet. Neben dem eigentlichen Zufahrtsstollen gibt es natürlich auch Belüftungsschächte, Demonstrations-Tunnels und Räume für die Technik. Der Tunnel ist mit allen Nebenschächten fast 10 Kilometer lang. Über der Erde befinden sich die Büros, die Einkapselungsanlage, Wasch- und Reparaturanlagen, die Forschungsstation sowie Gebäude für die Tunneltechnologie. Onkalo auf der Insel Olkiluoto wurde aus 100 Standorten ausgewählt und wird voraussichtlich 2020 seinen Betrieb aufnehmen. Kein anderes Land der Welt ist so weit gekommen. Wie Schweden besitzt Finnland eine relativ einfache Geologie. Das sehr alte Granitgestein verhält sich ruhig und die Erdbebengefahr ist gering. Wie die SKB in Schweden oder die Nagra in der Schweiz baut die finnische Schwesterorganisation Posiva nicht nur das Tiefenlager, sondern sorgt auch für die nötige Grundlagenforschung über das Gestein, die Sicherheit, die Behälter und die spätere Kennzeichnung des Lagers. Ausserdem organisiert Posiva den Bau des Transportfahrzeuges für die Kupferbehälter, das wegen den unterschiedlichen Tunneldurchmessern nicht der gleiche Typ wie in Schweden sein wird. Das Fahrzeug wird mit einer speziellen Kippvorrichtung ausgestattet sein, die die verpackten Brennstäbe in die vorgesehenen Kammern gleiten lässt. Posiva will ab 2020 während 100 Jahren einlagern. Danach soll das Lager geschlossen werden und im Idealfall in Vergessenheit geraten. Der Name ist Programm: Onkalo heisst auf Finnisch „Versteck“. »Für die Kennzeichnung des Lagers ist die nukleare Aufsichtsbehörde der Regierung (STUK) zuständig. Aber wir streben ein passives System an, das weder ein Warnsystem noch eine Überwachung braucht«, erklärt Tiina Jalonen, Verantwortliche für Forschung und Entwicklung bei Posiva. Es geht um die Möglichkeit, diesen Ort eines Tages unzugänglich zu machen – und auf die Vergesslichkeit zu hoffen: verstecken und vergessen.

Weiterlesen:

Horst Geckeis, Institut für Technologie, Karlsruhe: "Vielleicht haben wir nicht mehr viel Zeit."

Marcos Buser, Geologe und Sozialwissenschaftler, Schweiz: «Verblasst unsere Erinnerung an das Atomzeitalter?»

Paul Bossart, Erdwissenschaftler, Schweiz: «Es geht um Glaubwürdigkeit und Transparenz in der Endlagerung.»

Geologisches Tiefenlager

  • Geologisches Tiefenlager

    Zu einem geologischen Tiefenlager gehören sowohl die Oberflächen-Anlage als auch die in mehreren hundert Metern Tiefe im Wirtgestein liegende Anlage, in der die radioaktiven Abfälle in Stollen oder Kavernen mithilfe passiver Sicherheitsbarrieren [siehe auch Geologische Barriere] dauerhaft von Mensch und Umwelt isoliert werden.

Castorbehälter

  • Castorbehälter

    Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials. Castor ist ein geschützter Name der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Ein gefüllter Castorbehälter wiegt 110 bis 125 Tonnen. Die Herstellung eines Castorbehälters kostet rund 1,5 Millionen Franken. Zur Aufbewahrung radioaktiver Materialien werden auch noch andere Behälter benutzt. Alle müssen aber dieselben technischen Anforderungen erfüllen. Sie weisen beispielsweise mehrere Druckräume auf.

Bis in die Ewigkeit: Ausschnitt aus dem empfehlenswerten Dokumentarfilm "Into Eternity" (2010)

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Kernfusion

  • Kernfusion

    Bei der Kernfusion verschmelzen in einer Kettenreaktion zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Es ist dieser Prozess, der auch die Sonne in einen leuchtenden Stern verwandelt. Konkret verschmelzen bei extrem hohen Temperaturen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu einem Heliumkern. Dies unter Freisetzung eines Neutrons und Energie. Diese Fusionsreaktion ist die Ursache für die Zerstörungskraft von Wasserstoffbomben. Seit Jahrzehnten experimentieren Forscher damit, sich dieses unglaubliche Energiepotenzial zunutze zu machen. Bislang verbrauchten die Kernfusionsversuche mehr Energie, als sie einbrachten. In Südfrankreich befindet sich der Fusionsreaktor Iter im Bau, der ab 2020 im großen Umfang Informationen über die weitere Entwicklung dieser Technologie geben soll. An dem 16 Milliarden Euro teuren Experiment sind zahlreiche Länder beteiligt. Es ist eine offene Frage, ob die Kernfusion tatsächlich einmal Strom für den Massenkonsum bringen kann. Auf jeden Fall wird dies noch Jahrzehnte dauern.

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