Geheimnisvoller Arbeitsplatz

geschrieben von  Martin Arnold

Kernkraftwerke werden als Arbeitgeber zwar gelobt. Doch genaues Nachfragen ist nicht nur in der Schweiz unerwünscht. Weil das Image eines Arbeitgebers angekratzt ist, über dessen Zukunft offen diskutiert wird oder weil die Sicherheitslage ein Schweigen notwendig macht?

Ein sanftes Lüftchen bläst. Absicht oder Zufall? Air-Condition oder dramaturgischer Trick? Drei Leinwände, wovon zwei abgewinkelt sind, vermitteln IMAX-Stimmung. Turbinen wirbeln auf der Leinwand in einer beängstigenden Nahaufnahme. Ihre Kraft ist spürbar und das Geschenk, das sie darreichen durch den künstlichen Luftzug fühlbar. Was haben wir Besucher gesehen? Eine wunderbare Reise durch das Weltall, eine dumpfe, grollende, akustisch im Dolby Surround Tonsystem explodierende Supernova. Und Sternstaub, der sich im All ausbreitet. Und dann vernehmen wir das Zauberwort: Uran. Das Element war von Anfang an dabei. Was gibt es denn natürliches als Uran denken wir Zuschauer, während auf der Leinwand Zürich by Night wunderbar erstrahlt. Rund 20‘000 Besucher jährlich nutzen hier die Gelegenheit, mehr über das Kernkraftwerk Leibstadt bei Basel zu erfahren und wie es funktioniert. Drei Stunden später schlendert ein kräftig gebauter Mann des Sicherheitsdienstes auf den Autoren dieser Zeilen zu. Er hat gesehen, wie fotografiert wurde. „Das ist verboten!“ „Öffentlicher Grund?“ „Nein, privater Grund, ich muss sie bitten, alle Bilder zu löschen.“ Kein Argument hilft. Obwohl es nur ein harmloses Foto vom Eingangsbereich und dem Kühlturm ist.

Es war das Ziel, an dieser Stelle, die Arbeitsatmosphäre in einem Kernkraftwerk zu schildern, das in Betrieb ist. Dazu hätten wir gerne eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter porträtiert. Die Pressestellen der Kernkraftwerke nehmen die Anfragen höflich entgegen und ebenso freundlich waren die Absagen. Die gleiche Situation Monate später in der Normandie: Weder ist eine Besichtigung der Wiederaufbereitungsanlage La Hague möglich, noch kann man den EPR, den neuen Druckwasserreaktor in Flamanville besichtigen. L’État d’urgence – Frankreich im Ausnahmezustand. Die Nachfrage, ob man vielleicht mit einer Mitarbeiterin, oder einem Mitarbeiter ausserhalb des Geländes sprechen könnte, wird mit lautem Schweigen beantwortet. Die Kommunikation der Atomindustrie scheint ebenfalls im Ausnahmezustand. Auch in der Schweiz. Ein Versuch, eine Atomtechnikerin und Mitarbeiterin der Axpo zu porträtieren scheiterte auch. Kein Interesse. Man könne die Mitarbeiter nicht zwingen, zu kompliziert, ungeeigneter Zeitpunkt und andere Dinge verhinderten eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Arbeitsort Kernkraftwerk. Sicher: Ein Kernkraftwerk ist kein Molkereibetrieb und eine Besichtigung der geschützten Kraftwerkteile für eine Einzelperson ist aufwändig. Es gilt Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Der Arbeitsablauf ist gestört, die Mitarbeiter sind ohnehin ständiger Kritik ausgesetzt. Sie fühlen sich von den Medien ungerecht behandelt. All dies ist verständlich. Doch nach aussen wirken die Kraftwerkbetreiber, als hätten sie etwas zu verbergen. Ist das Öffentlichkeitsarbeit? Was übrig bleibt, ist eine Besuchertour im Kernkraftwerk Leibstadt – eine interessante Führung mit einer charmanten Führerin, die ihren Arbeitgeber, das KKL schätzt. „Wir sind das Gesicht nach aussen. Dass der Geschäftsleitung dieses Gesicht wichtig ist, lassen sie uns mit ihrer Wertschätzung spüren“, lobt Susanne Fischer.

Gutes Arbeitsklima

Über Menschen und Berufe im Kernkraftwerk erfahren wir wenig. Einzig im Kommandoraum, den wir von aussen einsehen dürfen, sehen wir auch aktiv Arbeitende. Sie wirken hinter Glas ein wenig wie Zoobewohner und an den zahlreichen Bildschirmen etwas gelangweilt. „Gemütlicher Job“, meint eine junge Besucherin. „Bei einem Flugzeug sind die Starts und Landungen spannend. Das ist hier auch so. Start und Landung entspricht einer Revisionen, das Hoch- oder Runterfahren des Kernkraftwerkes. Im Gegensatz zu einem Flugzeug, das spätestens, wenn sich der Tank langsam leert, landen muss, passiert dies hier einmal im Jahr“, erklärt Susanne Fischer. Rund 500 Angestellte arbeiten in Leibstadt. Voraussetzung für eine extrem hohe Arbeitsqualität sei die Atmosphäre am Arbeitsplatz. „Die Mitarbeiter sind sehr motiviert. Die Fluktuation ist gering. Das KKL tut viel für ein gutes Arbeitsklima.“ So gebe es ein Klubhaus, einen Fussballklub, eine Musikkapelle, Ausfahrten mit Motorrädern, Fahrrädern oder zum Skifahren.

Ausgeprägte Sicherheitskultur

Kernkraftwerke sind 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche in Betrieb. Wer dort arbeitet, tut dies in Schichtgruppen. Eine Gruppe besteht aus acht bis zehn Personen und einem Schichtleiter. Pro Schichtgruppe hat es drei bis fünf zugelassungspflichtige Reaktoroperateure und drei Anlageoperateure. Die Reaktoroperateure arbeiten hauptsächlich im Kommandoraum, die anderen Mitarbeiter an den Anlagen, die sie auf Rundgängen kontrollieren. Ein Kraftwerk hat fünf bis sechs Schichtgruppen, die sich an drei Schichten pro Tag ablösen. Neben dem Schichtdienst gibt es einen ständigen Pikettdienst. Die Pikettingenieure stehen den Schichtleitern notfalls beratend zur Seite. Schichtleiter, Reaktoroperateure und Pikettingenieure brauchen eine Zulassung des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI). Doch in einem Kernkraftwerk braucht es nicht nur Ingenieure, Physiker und Chemiker mit Hochschulstudium. Berufsleute wie Mechaniker, Konstrukteure oder Laboranten und Mitarbeiter im Büro, bei der Betriebswache und angelernte Hilfskräfte runden das breite Spektrum in einem Kernkraftwerk ab. Hinzu kommt ein Berufsgattung, dass es wohl nur im Kernkraftwerk gibt: Die Mitarbeiter beim Strahlenschutz. Der Arbeitsplatz in einem Kernkraftwerk lässt sich kaum mit jenen in anderen Branchen vergleichen. Von zentraler Bedeutung ist der Sinn für eine ausgeprägte Sicherheitskultur. Das ist freilich auch bei Fluglosten, Lokführern oder Rettungskräften von Bedeutung. Doch im Kernkraftwerk ist diese Sicherheitskultur unterfüttert mit dem extrem strukturierten und geregelten Arbeitsablauf. Die Routine ist hier notwendige Pflicht, um eine Ausnahmesituation zu bestehen.

Ausgeprägte Fehlerkultur notwendig

Das ENSI prüft künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur auf ihre berufliche Qualifikation. Genauso wichtig sind medizinische und psychologische Tests. In der Schweiz werden die psychologischen Tests am IAP Institut für Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gemacht. Ein grosser Teil des Personals im Kernkraftwerk Leibstadt sind noch Mitarbeiter der ersten Generation. Sie kennen teilweise noch das innerste Wesen des Ungetüms aus der Zeit vor der Inbetriebnahme. Das ermöglicht ein tiefes Verständnis für das Werk und verbindet die Mitarbeiter untereinander. Es gibt einige mögliche Ausbildungswege, um in einem Kernkraftwerk arbeiten zu können. Einer dieser Wege ist ein Studium an der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Die Schweizer Kernkraftwerke, aber auch Behörden wie das ENSI (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat) rekrutieren Mitarbeiter teilweise aus diesem Reservoir. Hinzu kommen aber auch Absolventen anderer Studienrichtungen und Quereinsteiger. Seit 2008 unterrichtet der Deutsche Michael Prasser Kerntechnik, das jährlich zwischen 12 und 15 Studenten mit dem „Master of Science in Nuclear Engineering“ abschliessen. Weitere rund 15 Studentinnen und Studenten belegen Energie- und Kerntechnik auch im Rahmen anderer technischen Studienrichtungen als Wahlfach. Prassers Lehrstuhl wird zu 30 Prozent vom Paul Scherrer Institut (PSI) und zu 70 Prozent von Swisselectric und damit von der Energie-Branche finanziert. Die Unterrichtssprache an der ETH ist zwar englisch. Dennoch sind Deutschkenntnisse an den Schweizer Kernkraftwerken willkommen. „Die Internationalität widerspiegelt die Situation der Schweiz“, findet Prasser. Er ist froh über die vielen ausländischen Studenten, denn so kann er ihnen auch ein wenig die Sicherheitskultur der Schweiz vermitteln. Die ETH führt die Ausbildung zu Nuklearingenieuren gemeinsam mit der EPF Lausanne durch. „Dort gibt es den Schulungsreaktor Crocus. Dies genügt“, erklärt Michael Prasser. Er sieht keine gravierenden Probleme darin, dass 2011 der Forschungsreaktor Proteus am Paul Scherrer Institut (PSI) und 2013 der Schulungsreaktor in Basel stillgelegt wurden. Lieber hätte er allerdings einen Forschungsreaktor und die nötige finanzielle Unterstützung für die entsprechenden Forschungsthemen dazu. Zwischen Prasser, seinen Studenten und dem PSI, einem der weltweit renommierten Forschungsinstitution, ist die Zusammenarbeit eng. Neben der Ausbildung auf dem akademischen Weg bietet das PSI auch regelmässig den „Fortbildungskurs Kernenergie“ an. Er richtet sich an Fachleute der Kernenergiebranche und Nachwuchskräfte mit Vorwissen. Zudem bieten auch die Universität Bern und Basel, sowie Fachhochschulen Unterrichtseinheiten zum Thema Kernenergie an. Trotzdem schreibt das Nuklearforum Schweiz im 2013 veröffentlichten Dossier: „Lehre, Forschung und Nachwuchs in der Schweizer Kernenergie“ alarmiert: „Insgesamt lassen die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Kernenergie den Schluss zu, dass ohne Gegensteuer die Ausstiegspolitik des Bundesrats zu einem Kompetenzverlust führen dürfte.“ Das Nuklearforum kritisiert die Tendenz, dass die Finanzierung von Lehre und Forschung immer mehr in private Hände übergehe – um die Staatskasse zu schonen.

Aussteigen und trotzdem forschen

Deutschland, die Schweiz und längerfristig wohl auch andere Länder werden aus der Kernenergie aussteigen – ob aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen sei dahingestellt. Konkret bedeutet dies nach den Vorstellungen beispielsweise der Schweizer Regierung: Ein Bauverbot für neue Kernkraftwerke und die Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen und Betriebserlaubnis für die bestehenden Atomkraftwerken unter immer grösserem finanziellen Druck. Gleichzeitig sagt der Bundesrat auch: Die technische Entwicklung der Kernenergie geht weiter, und die Schweiz soll nicht abseits stehen. Das weckt bei Kernenergiegegnern Ängste, das Rad der Geschichte könnte irgendwann zurückgedreht werden. Doch dieses Rad ist durch das Bauverbot und die immer teureren Gestehungskosten des Stroms blockiert. Umgekehrt aber muss im Bereich der Kernenergie weiterhin geforscht werden und zwar solange noch Kernkraftwerke betrieben werden oder sich im Rückbau befinden. Und auch für die Endlagerung müssen Wissenschaftler forschen können. Ganz gleich, ob es die Forschung an der Kernenergie oder den Arbeitsplatz Kernkraftwerk betrifft: Die ungewisse Zukunft könnte sich als Hindernis bei den Bemühungen erweisen, die am besten qualifizierten Mitarbeiter zu finden. Und doch muss dies der Standard sein. Vor allem wenn es um Sicherheitsfragen geht.


Anonym, Arbeiter in Fukushima-Daiichi, Japan: "Wir arbeiten unter Extrembedingungen."

Siedewasserreaktor

  • Siedewasserreaktor

    Beim Siedewasserreaktor gibt es im Gegensatz zum Druckwasserreaktor keine zwei Wasserkreisläufe. Der Dampf wird vom Reaktordruckgefäß direkt zu den Turbinen geleitet. Der Dampf enthält deshalb Spuren kurzlebiger radioaktiver Stoffe, die aber nach wenigen Minuten abklingen.

Druckwasserreaktor

  • Druckwasserreaktor

    Der Druckwasserreaktor (in der Schweiz die Reaktoren in Beznau und Gösgen) besteht aus zwei Wasserkreisläufen. Die Erhitzung des primären Wasserkreislaufes geschieht im Reaktordruckbehälter, der sich im Reaktorgebäude befindet. Dort wird unter hohem Druck Wasser erhitzt, ohne dass es siedet. Das erhitzte Wasser wird zur Erhitzung eines zweiten Wasserkreislaufs verwendet, dessen Wasser verdampft. Der Dampf dient dem Antrieb von Turbinen. Die Turbinen für die Stromerzeugung befinden sich im Maschinenhaus. Über dem Kühlturm, dem Wahrzeichen eines Kernkraftwerkes, tritt die feuchte, warme Luft aus.

Mensch + Energie

Vor dem Hintergrund der aktuellen „Energiewende“-Debatten möchten wir einen kritischen Diskussionsbeitrag leisten für all jene, die mehr wissen wollen zum Thema Energie. Und wir möchten einen Beitrag leisten, die tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, die Befürworter und Gegner trennen. Denn die Wahrheit wird bei diesem Thema sehr schnell relativ bzw. relativiert, man bewegt sich auf einem Feld, in dem sich Experten, Meinungsmacherinnern, Ideologen, Betroffene, Opfer, Lobbyisten, Politikerinnen und Weltenretter tummeln. Sie alle sollen zu Wort kommen, sie sollen von ihrer Wahrheit erzählen, der Wahrheit des Strahlenopfers ebenso wie jener des Kraftwerkbetreibers, des Befürworters und der Gegnerin.

Entwicklung der Kraftwerks-Generationen

  • Entwicklung der Kraftwerks-Generationen

    Die ersten kommerziellen Kernkraftwerke gingen zwischen 1956 und 1965 ans Netz. Sie zählen zu den Kernkraftwerken der ersten Generation. Ihre elektrische Leistung war noch meist unter 200 MW. Die in Europa geläufigen Kraftwerke entstammen der zweiten Generation und sind meist Druckwasserreaktoren. Die Mehrheit von ihnen wurde vor dem Reaktorunglück von Tschernobyl in Betrieb genommen. Die Generation 3 ist eine evolutionäre Weiterentwicklung der zweiten Generation. Die Weiterentwicklung betrifft vor allem die sogenannt passiven Sicherheitssysteme. So wurde der Boden unter dem Reaktordruckbehälter sowie das Reaktorgebäude deutlich verstärkt – wie dies in Olkiluoto in Finnland der Fall ist. Auf der gleichen Technik basieren auch die Kernkraftwerke der Generation 3+. Die Kernkraftwerke der 4. Generation werden noch entwickelt. Sie könnten Natrium (Salz) statt Wasser als Kühlmittel verwenden, eine Betriebstemperatur von 1000 Grad (statt 300 Grad) erreichen, und statt Uran könnten sie Thorium sowie Plutonium als Brennstoff nutzen. Die Konzepte liegen schon lange vor, eine Realisierung ist nicht in Sicht. Zur 4. Generation könnten aber auch kleine Modulreaktoren gehören, die in den USA im Gespräch sind. Bei Modulreaktoren besteht ein Kernkraftwerk nicht aus einem großen, sondern aus mehreren kleinen Reaktoren. Bei der Wartung, einer Inspektion oder dem Ausfall eines Reaktors liefern die anderen Reaktoren weiterhin Energie.

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