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Große Masse, hohe Geschwindigkeit, viel Kerosin

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Nicht nur mit Sprengstoff beladene Drohnen stellen eine Gefahr für Atomkraftwerke und deren Lagerbecken dar. Die Flugzeugabstürze in die TwinTowers an 9/11 sind in unseren Köpfen verankert. Was passiert mit einem Reaktorgebäude, wenn eine vollgetankte Passagiermaschine in ein Atomkraftwerk stürzt? Diese und andere Fragen stellt der zweite Teil der vierteiligen Serie über Terrorgefahr auf Atomkraftwerke. 

Ruth Williams Sprecherin der Swissnuclear, der schweizerischen Betreiberseite bestätigt: „Beim Absturz auf ein AKW könnte ein Flugzeug zwar Schaden am nicht nuklearen Anlageteil verursachen und allenfalls das Reaktorgebäude beschädigen, es aber nicht durchdringen. Das aus massivem, meterdicken Stahlbeton gebauten Reaktorgebäude hält einer äußerst großen Belastung stand“. Heinz Smital Kernphysiker und Anti-Atom-Kampaigner bei Greenpeace Deutschland sieht das anders. „Die Wucht eines Aufpralls allein bewirkt innen so viel Zerstörung, dass die Funktionalität der Anlage nicht mehr gewährleistet ist. Das Reaktorgebäude muss nicht komplett zerstört sein, um im Betrieb der Anlage zu größeren Problemen zu führen.“ Das heißt, dass radioaktives Material in die Umgebung abgegeben werden kann. „Allein durch den Aufprall können sicherheitsrelevante Komponenten, wie die Rohre für das Kühlwasser zerstört werden“, bestätigt Jochen Stay von "Ausgestrahlt", einer Hamburger Anti-Atomenergie Organisation. Ein auf den Einsturz folgender Kerosinbrand habe so eine zerstörerische Wirkung, dass es an ein Wunder grenze, wenn die Kühlsysteme für den Reaktor intakt blieben, erklärt Klaus Traube, ehemaliger Sprecher des BUND 2011 im Interview mit der taz.

 

Warnsignal 9/11

Die deutschen und Schweizer Behörden prüften nach den Anschlägen 2011 erstmals, ob ihre AKW einem gezielten Absturz standhalten können. In Deutschland ist die Reaktorsicherheitsbehörde RSK und in der Schweiz das ENSI verantwortlich. Ruth Williams von der Schweizer Betreiberseite bestätigt, dass die Schweizer Kraftwerke Mühleberg und Beznau - beide über 40 Jahre alt - vom ENSI als ausreichend sicher erklärt wurden. „Die Untersuchungen für die Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt zeigten, dass deren sicherheitsrelevante Gebäude einen Vollschutz gegen die Absturzfolgen eines modernen, voll betankten Langstrecken-Verkehrsflugzeugs aufweisen.“ Man könnte sich fragen, ob Mühleberg und Beznau über keinen Vollschutz verfügen.

 

Jüngste Ergebnisse der Reaktorsicherheitsbehörde 

Die RSK untersucht die Sicherheitslage deutscher AKW in drei Schutzgraden: Schutzgrad 1 behandelt Militärflugzeuge des Typs Starfighters mit einem Leergewicht von knapp 7000 kg. Laut den Ergebnissen vom Dezember 2017 halten alle deutschen AKW dem Einsturz eines solchen Flugzeugs stand. Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit dem Eurokontrol Experimental Center, einem französischen Unternehmen, das mit Simulationen die Sicherheitslage im Luftraum und an Flugzeugen untersucht. Schutzgrad 2 geht vom Absturz eines schweren Militärflugzeuges des Typs Phantom aus, das ein Leergewicht von knapp 13.000 kg hat. Es wurde gewählt, weil er nach Angaben der RSK den gebräuchlichen zivilen Flugzeugen entspricht. Dazu gehört auch der verbreitete Airbus A 320, der jedoch ein Leergewicht von knapp 43.000 kg aufweist - mehr als dreimal so viel wie die Phantom. Ganz offensichtlich gingen die Sicherheitsverantwortlichen bei ihren Berechnungen von militärischen Angriffen und nicht von terroristischen Attacken mit Passagierflugzeugen aus. Schutzgrad 3, repräsentiert durch den Airbus A 340-600 mit einem Leergewicht von 37 Tonnen (= großes Verkehrsflugzeug), ist undurchschaubar. Die RSK wählt diesen Flugzeugtyp mit der gleichen Begründung: Es decke 99% der möglichen Gewichtskategorien von Flugzeugen ab.

Was aber ist mit einem Großflugzeug wie dem A380? Das 370 Tonnen schwere Flugzeug mit bis zu 550 Passagieren wird von der RSK nicht mitberechnet. RSK begründet dies damit, dass die Anzahl der Flugbewegungen des A380 viel geringer ist, als die der anderen Referenzflugzeuge. Ob das so stimmt, bezweifelt Jochen Stay von Ausgestrahlt: „Als es in den Achtzigern um die Baugenehmigungen für AKWs ging, wählte man zur Berechnung die Flugzeuge, die zu der Zeit flogen. Die sind in die Berechnung miteinbezogen worden.“ Flugzeuge wie den A 380 auszulassen, weil die Resultate nicht zum gewünschten Ergebnis der Studie passen, scheint die RSK nicht zu stören: Laut RSK, liefern die virtuell verwendeten Referenzflugzeuge dennoch eine gute Grundlage für eine Beurteilung der Robustheit von Atomkraftwerken. Jochen Stay, von Ausgestrahlt, sagt, „es herrschen offensichtliche Mängel in der Berechnung.“

Nicht bedacht hat die RSK das mögliche terroristische Potential eines Piloten. Es ist seit 9/11 nicht mehr möglich, die Cockpit-Tür von der Kabine aus zu öffnen. Dies biete Schutz vor der Übernahme eines Flugzeugs, behaupten die AKW-Betreiber gern, so Jochen Stay. Eine Gewähr ist das noch lange nicht, wie ein anderer Fall zeigt. „Das Germanwings Unglück, bei dem ein psychisch beeinträchtigter Pilot absichtlich sein voll beladenes Flugzeug zum Absturz brachte, zeigt doch, dass ein Terrorist nur eine Berufsausbildung absolvieren muss, um großen Schaden anzurichten.“

 

Links:

Jochen Stay, Umweltaktivist und Sprecher der Anti-Atom-Organisation .Ausgestrahlt in Hamburg

Heinz Smital, Kernphysiker und Kampaigner bei Greenpeace Deutschland

Ruth Williams, Sprecherin des Branchenverbands der Schweizer Kernkraftwerkbetreiber Swissnuclear

TAZ- Interview von Matthias Urbach mit Klaus Traube, ehem. energiepolitischer Sprecher des BUND, inzwischen verstorben

ARTE Reportage (war nur verfügbar bis 03.02.18) Terror: „Atomkraftwerke im Visier“

Zusammenfassende Stellungnahme der RSK zu zivilisatorisch bedingten Einwirkungen, Flugzeugabsturz


Welcher Maßnahmen und Argumente sich die AKW-Betreiber bedienen, um den Betrieb ihrer AKW angesichts dieser Erkenntnisse zu rechtfertigen, untersucht der dritte Teil Sicherheitsmaßnahmen gegen Terror auf AKW der vierteiligen Serie Terrorgefahr auf Atomkraftwerke.

Teil 1: Terrorgefahr auf Atomkraftwerke

Teil 4: Cyberterrorismus auf Atomkraftwerke